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Der Glasmaler und die Hure

Der Glasmaler und die Hure

Titel: Der Glasmaler und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
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schließlich stieß sie in einer Ecke auf eine alte Karrette, die groß genug war, um einen Menschen hineinzusetzen.
    Zuvor nahm sie Martins Zustand in Augenschein. Thea rollte ihn ein Stück zur Seite, was er schwach protestierend geschehen ließ. Sie zog ihm das Wams aus und riß sein Hemd über der Wunde auf. Das Geschoß war ein Stück oberhalb seiner Hüfte eingedrungen und am Rücken ausgetreten. Der Durchschuß hatte ein häßliches Loch hinterlassen, in dem verbrannte Stoffetzen steckten. Thea griff nach den achtlos fortgeworfenen Unterkleidern Sophia Fellingers, preßte sie auf die Wunde und band sie mit einer Schnur fest. Es war kein wirklicher Verband, aber er würde seinen Zweck erfüllen.
    Sie schob die Karrette heran und hievte Martin auf die Holzplanken. Erst als sie ihn von seiner Frau fortzog, regte sich ein schwacher Widerstand in ihm.
    »Nein«, sagte er. »Nein, nein!« Er versuchte sich an Sophia zu klammern, doch Thea zog ihn unerbittlich auf dieKarrette. Sie schlang einen Strick um ihn und das Gefährt, so daß er nicht herausfallen konnte.
    Ganz in der Nähe wurde geschossen. Soldaten stürmten am Fenster vorbei. Thea stockte der Atem. Sie wartete kurz ab, bis sich die Schritte entfernt hatten. Erleichtert ließ sie die Luft aus den Lungen weichen.
    »Laß mich hier«, krächzte Martin. Er versuchte am Seil zu zerren, doch seine Hand fiel sogleich schlaff herab.
    »Ich kann nicht«, sagte Thea, drückte ermutigend Martins Hand und kniete sich dann zu seiner toten Frau. Sie schloß Sophia Fellinger die Augen, strich ihren Rock glatt und faltete die Hände über der Brust zusammen.
    Martin flehte noch einmal darum, bei seiner Frau bleiben zu dürfen, dann verstummte er, und sein Kopf sank kraftlos nach unten. Thea glaubte schon, er sei gestorben, doch sie konnte seinen Atem spüren, als sie zwei Finger vor seinen Mund hielt.
    Es erleichterte sie, daß er die Besinnung verloren hatte, denn sie befürchtete, er würde sich auf der Straße heftig wehren und damit unnötige Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
    Einen Moment lang dachte sie darüber nach, ob sie sich seinem Wunsch, hier neben seiner Frau sterben zu wollen, widersetzen durfte, dann aber stieß sie die Tür auf und schob Martin nach draußen. Die Hitze des Feuers schlug ihr entgegen, das am Ende der Straße von einem Gebäude zum anderen übersprang. Es würde nicht mehr lange dauern, bis Martins Haus den Flammen zum Opfer fiele. Der Rauch hüllte bereits die gesamte Straße ein. Thea hustete, doch der dichte Qualm gereichte ihr zum Vorteil, denn durch ihn würde man sie nicht so leicht erkennen können.
    Stöhnend schob sie die schwere Karre voran. An manch unebenen Stellen mußte sie ihre ganze Kraft aufbringen, um voranzukommen. Der Hut und der Mantel schützten sie weiterhin vor Übergriffen. Einer der Landsknechte liefsogar ein kurzes Stück mit geschulterter Muskete neben ihr her, schaute skeptisch auf Martin und meinte abfällig: »Glaubst du etwa, du wirst eine Ranzion für ihn bekommen? Der ist doch schon so gut wie tot.«
    Sie reagierte nur mit einem Brummen darauf, und zu ihrer Erleichterung entfernte sich der Soldat schnell wieder.
    Thea beeilte sich und erreichte nach einer Weile den Festungswall. Erschüttert beobachtete sie, wie sich junge Mütter mit ihren Kindern vom Wall aus in die Tiefe stürzten, um den Händen der Plünderer zu entgehen. Die Kinder schrien und heulten in Ahnung ihres Todes, während die Frauen sie mit versteinerten Mienen auf die Zinnen trieben und sich mit ihnen hinabstürzten.
    Die Frauen zogen den Tod einer grausamen Behandlung durch die Plünderer vor. Thea hingegen war nicht bereit, sich diesem Schicksal zu ergeben. Nun jedoch stand der gefährlichste Moment ihrer Flucht bevor. Sie mußte das östliche Stadttor passieren, das dicht mit kaiserlichen Soldaten umstellt war. Thea zog den Hut tiefer ins Gesicht und schob Martin auf das Tor zu. Sie versuchte ruhig zu bleiben und sich nicht von der Furcht lähmen zu lassen. Die Blicke mehrerer Männer richteten sich bereits auf sie und den Mann auf ihrem Karren. Stumm verfluchte sie ihren Entschluß, Martin Fellinger aus der Stadt schaffen zu wollen. Wie einfach wäre es doch gewesen, die Aufmerksamkeit der Soldaten zu vermeiden, wenn sie allein in ihrer Verkleidung an ihnen vorbeigeeilt wäre.
    »Armer Teufel«, raunte ein stämmiger Pikenier, der wohl vermutete, sie schaffe einen kaiserlichen Söldner aus der Stadt. Sein Nebenmann, der einen

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