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Der Glasmaler und die Hure

Der Glasmaler und die Hure

Titel: Der Glasmaler und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
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die Schrecken dieses Tages legte. Doch die Nacht war nicht schwarz. Selbst aus der Entfernung mehrerer Meilen erreichte sie der Schein des großen Feuers.
    Von einer Anhöhe aus beobachteten einige von ihnen schweigend, wie das stolze Magdeburg von den Flammen verzehrt wurde. Zusammenstürzende Häuser schleuderten Funkenregen in das Firmament, und wenn der Wind auffrischte, trug er schwach die Schreie der Menschen zu ihnen, die noch immer inmitten des Infernos mit dem Tode rangen.
    Diese Schrecken ertrug Thea nicht länger, sie ging zurück zu Martin. Gefangen in einem Traum, zuckten seine Hände. Die Lippen formten tonlose Wörter. Welche Bilder mochte sein Geist ihm vor Augen halten? Sie hoffte, daß es sich um eine bessere Zeit handelte und nicht um die Erinnerung an das, was mit ihm und seiner Frau geschehen war. Seine Gesichtszüge wirkten entspannt, also nahm sie an, daß er keinen Alptraum durchleben mußte.
    Alfred setzte sich neben sie und betrachtete Martin eine Weile nachdenklich. Dann sagte er: »Wir müssen befürchten, daß wir in dieser Gegend schon bald auf kaiserliche Truppen stoßen werden.«
    »Oder sie auf uns«, meinte Thea.
    Er nickte. »Wir sind nicht weit genug von Magdeburg entfernt, um vor ihnen sicher zu sein, und wir alle haben mit eigenen Augen gesehen, wozu diese Teufel fähig sind. Darum dürfen wir nicht an diesem Ort verharren.«
    »Aber sieh dir diese Menschen an! Viele sind schwach und hungrig und vom Schrecken gelähmt. Sie können kaum einen Fuß vor den anderen setzen.«
    »Wir haben mehrere Stunden lang geruht. Das muß genügen.«
    Alfred bedachte Martin mit einem skeptischen Blick und rieb sich über sein kahles Haupt. »Ist er dein Ehemann?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Ich … ich kenne ihn kaum.«
    »Gut«, sagte er. »Wir werden ihn zurücklassen müssen.«
    »Er wird sterben.«
    »Er ist doch schon so gut wie tot.«
    Thea schaute Alfred entsetzt an.
    »Der Mann wäre nur eine Belastung für uns. Wer sollte ihn tragen?«
    »Nein«, sagte Thea entschieden. »Ich werde ihn nicht zurücklassen.«
    »Dann werden wir ohne euch gehen müssen.« Alfred erhob sich und zog einen Dolch hervor. »Ein schneller, gnädiger Tod würde ihn von seinem Leiden erlösen. Überlege es dir!«
    Er ging davon und ließ Thea ratlos zurück. Seine Offerte widerte sie an, aber sie konnte verstehen, daß es in seinen Augen die einzig richtige Lösung war. Es stand nicht gut um Martin, und auch Thea zweifelte daran, ob er die Nachtüberstehen würde. Durfte sie ihr eigenes Heil für diesen Mann aufs Spiel setzen, der dem Tod näher war als dem Leben?
    Sie hatte eine Entscheidung getroffen, als sie ihn von seiner Frau getrennt und unter größten Gefahren aus der Stadt geschafft hatte. Sollten all diese Mühen vergeblich gewesen sein? Thea sträubte sich gegen den Gedanken, Martin durch Alfreds Dolch mit einem raschen Tod zu erlösen. Sie hatte zuviel Blut an diesem Tag fließen gesehen.
    Noch einmal hockte sich Alfred zu ihr. »Ist deine Entscheidung endgültig?« wollte er wissen.
    Thea zögerte einen Moment lang. Sie wollte nicht allein zurückbleiben. Der Gedanke an die Einsamkeit machte ihr Angst, aber sie würde Martin Fellinger nicht im Stich lassen.
    Also nickte sie und sagte: »Ich bleibe bei ihm.«
     
    Bald schon machten sich die anderen zum Aufbruch bereit. Die Frau des Apothekers zeigte sich entsetzt über Theas Entschluß, nicht mit ihnen zu gehen und redete vehement auf sie ein, um sie umzustimmen. Thea hingegen schüttelte nur den Kopf und verteidigte ihre Entscheidung.
    »Ich bedauere deine Sturheit«, meinte Alfred und zog eine enttäuschte Miene. »Du bist eine tapfere und entschlossene Frau. Diesen Menschen hier könntest du von weit größerem Nutzen sein als deinem sterbenden Freund.«
    Seine Worte klangen einleuchtend, doch sie änderten Theas Entschluß nicht.
    »Ich lasse Martin nicht zurück.«
    »Du bringst dich selbst in Gefahr.«
    Alfred schwieg einen Moment lang, dann teilte er Thea mit: »Wenn er bereits in dieser Nacht stirbt und du uns folgen willst, so lauf nach Osten. Wir werden versuchen, bis zum Tagesanbruch den Marktflecken Netzau zu erreichen.«
    »Ich wünsche euch allen Glück«, erwiderte Thea.
    »Wir werden es brauchen können.« Alfred drückte ihreSchulter und rief seine Schützlinge zusammen. Thea bettete Martins Kopf in ihren Schoß und verfolgte mit Bangen, wie die Magdeburger sich im Dunkel der Nacht entfernten. Sie war allein – allein mit

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