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Der Glasmaler und die Hure

Der Glasmaler und die Hure

Titel: Der Glasmaler und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
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gelaufen und nicht wieder hervorgekommen.
    Später ging sie zurück zu Conrad in das Lazarett und nahm die Arbeit wieder auf. Conrad und sie verrichteten schweigend ihren Dienst und versorgten die noch immer zahlreich eintreffenden Opfer der Schlacht. Wenn sie miteinander sprachen, dann verständigten sie sich über medizinische Details. Über Martin verloren sie indes kein Wort. Sie blieben bis zum Einbruch der Nacht in der Kirche. Thea sehnte sich nach Ruhe und Schlaf, doch die Feldschere wurden nun zum Schlachtfeld befohlen, auf dem inzwischen die Kämpfe eingestellt worden waren.
    Der Geruch nach Blut, nach verbranntem Fleisch und Schießpulver hing drückend über den Feldern. Im flackernden Licht der Lampen offenbarte sich Thea und Conrad unter dem nur langsam weichenden Pulvernebel, was auf dem Schlachtfeld zurückgeblieben war. Die Äcker waren mit unzähligen Leibern bedeckt, die entweder tot zu Boden gesunken waren oder stöhnend und wimmernd umherkrochen. Manche gaben nur schwache Handzeichen von sich, andere wiederum waren selbst dazu zu schwach. Leblos stierten die Augen der Soldaten zum Firmament, in Erwartung des erlösenden Todes.
    Hunderte von Pferdekadavern waren neben den Soldaten zusammengebrochen. Ringsherum humpelten Gäuleauf drei Beinen an ihnen vorüber, Wehlaute ausstoßend, die Thea nie zuvor von diesen Tieren vernommen hatte. Sie klangen wie die anklagenden Schreie böser Geister.
    Die schwedischen Soldaten, die auf dem Schlachtfeld biwakierten, entzündeten vor ihren Zelten Feuer und enthüllten so mehr und mehr die Umgebung. Viele Landsknechte strichen rastlos umher, scheuchten die Krähen fort, die sich über das Fleisch der Toten hermachten, und plünderten die Leichen. Die Soldaten nahmen Waffen, Stiefel und Harnische an sich, und nach einer Weile traten die meisten von ihnen mit voll beladenen Armen und gierigen Augen über das Schlachtfeld. Niemand hinderte die Männer daran, die Toten zu bestehlen. Auch die Geistlichen, die umherzogen, um den Sterbenden einen letzten Segen zu erteilen, scherten sich nicht um die Plünderer. Ihnen folgten Söldner, welche die Leidenden mit ihren Partisanen von den Qualen erlösten.
    Conrad und Thea suchten mit den anderen Feldschern nach den Männern, für die noch eine gewisse Hoffnung bestand. Die Zahl der Verwundeten war so hoch, daß sie kaum noch zu bewältigen war. Stunde um Stunde ging Thea Conrad zur Hand, half ihm, die Blutungen zu stillen, notdürftige Verbände anzulegen und die Männer auf die umherfahrenden Karren zu laden, die die Landsknechte in die überfüllten Lazarette schafften. Tief in der Nacht schwanden Theas Kräfte endgültig. Neben einer Leiche sackte sie zusammen und fiel in einen unruhigen Schlaf.
    Conrad weckte sie, als das erste Morgenlicht heraufzog. Thea blinzelte in die aufgehende Sonne und erhob sich stöhnend. Jeder Knochen in ihrem Körper schmerzte. Sie sehnte sich den Schleier der Nacht herbei, denn nun am Tage sah sie sich, so weit das Auge reichte, umgeben von wimmernden und schreienden Menschen, die um Hilfe flehten. Schweigend nahm Thea ihre Arbeit wieder auf und verteilte Wasser an die leidgeprüften Landsknechte.
    Kurze Zeit später machte Conrad Thea auf eine Gruppe von etwa zwanzig Reitern aufmerksam, die ihre Pferde mühsam durch das Totenfeld steuerte. Schon von weitem stachen ihr die prachtvollen bunten Kleider dieser Schar ins Auge. Die Hüte der Reiter waren mit leuchtenden Federn geschmückt, und die stolzen Schlachtrösser trabten so prächtig auf sie zu, als wären sie einer Heldensage entsprungen.
    »Ich glaube, das ist der König«, meinte Conrad.
    Thea war zu entkräftet, als daß sie diese Begegnung in Aufregung versetzt hätte. Sie blieb ruhig stehen und wartete ab, bis die Reiter sie passiert hatten. Ausgehend von den Beschreibungen, die im Troß von dem schwedischen König kursierten, nahm sie an, daß es sich bei dem Reiter, der die Schar anführte, tatsächlich um Gustav Adolf handelte. Der König ritt in einer Entfernung von vielleicht zehn Schritten an ihr vorüber, ließ seinen Blick über die Massen der getöteten Feinde schweifen und machte einen zufriedenen Eindruck.
    Dieser stattliche, recht korpulente Mann strahlte die Würde eines mächtigen Feldherrn aus, doch Thea fiel auf, daß der gestrige Tag auch an ihm Spuren hinterlassen hatte. An Gustav Adolfs linkem Arm klebte Blut, und seine Wangen waren nicht minder schmutzig als die der meisten Soldaten. Also stimmte es wohl, was

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