Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Glasmaler und die Hure

Der Glasmaler und die Hure

Titel: Der Glasmaler und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
Vom Netzwerk:
Conrad«, sagte Martin. »Hab ein Auge darauf, daß er sich nicht zu häufig betrinkt. Der Alkohol verschlimmert seine Gicht nur noch.«
    »Vielleicht«, meinte Thea. »Aber er leidet vor allem unter dem Streit zwischen euch.«
    »Ich habe das nicht gewollt.«
    Thea nickte. »Sei vorsichtig und versprich mir, daß du zurückkehrst, sobald du deinen Frieden gefunden hast. Und sollte sich herausstellen, daß du diese Männer nichtaufspüren kannst, dann jage nicht länger diesen Schatten hinterher, die du nicht greifen kannst, und komm zu mir zurück.«
    »Bin ich denn noch willkommen hier?«
    »Wegen Conrad? Gib ihm Zeit! Er wird dir nicht ewig grollen. Und ich werde auf dich warten, auch wenn es Monate dauern sollte.«
    Er befürchtete, daß Thea vor ihm in Tränen ausbrechen würde, und nahm sie schnell in den Arm.
    »Ich danke dir für alles, Thea. Für mein Leben, für deinen Mut und für die Kraft, die du mir geschenkt hast.«
    Thea zog ein Tuch aus ihrer Schurztasche hervor, in das ein flacher Gegenstand eingeschlagen worden war, und legte es in Martins Hand.
    »Nimm es! Ich hab es die ganze Zeit bei mir getragen, aber nie den Mut gefunden, es dir zu geben. Ich hatte Angst, es würde die Vergangenheit heraufbeschwören.«
    Martin faltete das Tuch vorsichtig auseinander.
    »Sieh es als Pfand an, das du mir irgendwann zurückbringen wirst.«
    Im ersten Moment begriff er nicht, was er da in seinen Händen hielt, doch dann erkannte er das handtellergroße blaue Glasstück als einen Teil des Magdeburger Gemäldes, das er einst angefertigt hatte. Ganz offensichtlich handelte es sich um ein Fragment aus dem Himmel. Martin hielt die Scherbe gegen die Sonne und betrachtete fasziniert, wie sich das Licht im Buntglas brach.
    »Du wirst es zurückbekommen«, sagte Martin, doch seine Worte blieben ungehört.
    Thea war bereits gegangen.

Kapitel 12
    Die Reise gestaltete sich beschwerlicher, als Martin angenommen hatte. Schon am Abend des ersten Tages schmerzten ihm nach dem stundenlangen Ritt alle Knochen. Die Narben oberhalb seiner Hüfte schwollen an und brannten so heftig, als wollten sie aufbrechen. Er war es nicht gewohnt, mit Pferden umzugehen, und Eris schien dies zu spüren. Als ihm die Stute von Maija Poutiainen anvertraut worden war, hatte das Tier einen ruhigen Eindruck auf Martin gemacht. Er mußte indes schon bald feststellen, daß er sich in Eris getäuscht hatte. Oftmals blieb sie völlig unvermittelt stehen, graste am Wegrand und weigerte sich beharrlich, sich voranzubewegen. Martin versuchte sie mit sanftem Zureden oder forschen Kommandos in Bewegung zu setzen, doch Eris blieb störrisch, trabte erst dann weiter, wenn ihr der Sinn danach zu stehen schien, oder sie buckelte so heftig, daß er sich nur mit Mühe auf ihrem Rücken halten konnte.
    »Himmelherrgott! Ich werde die böhmische Grenze wohl erst im Greisenalter erreichen«, fluchte Martin und befürchtete inzwischen schon, daß ihn dieses Pferd zur Umkehr zwingen würde, denn der verfluchte Gaul legte mehr Launen an den Tag als Conrads verhärmte Schwester.
    Drei Tage vergingen, bis Eris sich endlich seinen Befehlen fügte. Es schien, als habe sie plötzlich begriffen, daß es keinen Sinn hatte, ihren Kopf durchsetzen zu wollen. Martin belohnte ihre Erkenntnis mit der letzten Zuckerrübe, die er mit sich führte.
    Die Freude über Eris’ Einsichtigkeit währte nur kurz, denn inzwischen hatte Martin den gesamten Proviant aufgebrauchtund war nun auf die Barmherzigkeit der Bauern und Dorfbewohner angewiesen.
    Wann immer er den Rauch eines Schornsteins in der Ferne aufsteigen sah, begann sein Magen laut zu knurren und rief ihm in Erinnerung, wie herrlich es doch war, an einem Ofen zu sitzen und eine warme Mahlzeit zu sich zu nehmen. Seine Hoffnungen wurden jedoch zumeist von den aufgebrachten Bauern zerschlagen, die ihn beschimpften, bedrohten und wie einen Mörder davonjagten.
    Er konnte den Haß der Menschen sogar verstehen, denn nicht selten ritt er auf einen vermeintlichen Ofenrauch zu, aber blickte dann nur auf die rußgeschwärzte, qualmende Ruine einer Bauernkate, in deren Nähe oft die Leichen ganzer Familien achtlos zurückgelassen worden waren.
    Am achten Tage seiner Reise erreichte er ein Dorf, in dem kein einziger Mensch mehr lebte. Die Hälfte der Hütten war einem Feuer zum Opfer gefallen. Martin zählte mehr als zwanzig tote Männer, Frauen und Kinder, die schrecklich zugerichtet auf den Wegen und vor den Hütten lagen. Die Ratten und

Weitere Kostenlose Bücher