Der Glasmaler und die Hure
Krähen hatten sich bereits gierig über das faulige Fleisch hergemacht, so daß die Gesichter der Toten nicht mehr zu erkennen waren.
Martin schlief in einer kleinen Kirche, aus der sämtliches Inventar geraubt worden war, die ihm aber trotzdem Schutz vor Wind und Regen bot. Sämtliche Fenster des Gotteshauses waren zertrümmert worden. Auf dem Boden fand er viele Scherben. Er hob einige davon auf und betrachtete versonnen das Buntglas. In den vergangenen Tagen hatte er oft daran gedacht, wie gerne er wieder mit Glas arbeiten würde. Mit den Fingern strich er über die Glasscherbe, die Thea ihm mit auf den Weg gegeben hatte und grübelte darüber nach, wie sie diese Nacht verbringen mochte. Waren ihre Gedanken bei ihm oder lag sie bereits wieder in den Armen eines Hurenbocks und hatte den Schmerz über seinen Abschied längst verdrängt?
Am Morgen wurde er von Stimmen geweckt. Eine Schar zerlumpter Kriegsversehrter war in das Dorf gekommen. Einige Männer humpelten auf Krücken umher, anderen fehlte ein Arm oder gar beide, und die meisten der rauhen Gesichter waren von gräßlichen Narben entstellt. Martin wußte nicht, ob diese Krüppel eine Gefahr für ihn bedeuteten, aber er legte keinen Wert darauf, es herauszufinden. Rasch sattelte er Eris und machte sich davon.
Das nächste Dorf, das er erreichte, war vom Krieg verschont geblieben. Hier wurde er herzlich aufgenommen. Er behandelte den greisen Vater eines Schankwirtes, der von einem entzündeten Zeh geplagt wurde. Martin öffnete die verkrustete Wunde und ließ den Eiter herausfließen. Danach säuberte er den Zeh gewissenhaft und legte einen Verband an. Der Wirt lud ihn zum Dank an seine Tafel und überließ Martin für die nächste Nacht ein Quartier in einer engen Kammer, in der er endlich wieder in einem richtigen Bett schlafen konnte.
Am folgenden Tag traf eine Kolonne Tuchhändler im Dorf ein. Der Zug umfaßte elf Wagen und rund dreißig Männer, die ihn begleiteten. Dank einer Empfehlung des Schankwirtes gestattete man Martin, sich der Gruppe anzuschließen.
Leider währte die Sicherheit der Tuchhändler nur wenige Tage, denn schon bald, nachdem der Wagenzug die böhmische Grenze passiert hatte, trennten sich ihre Wege auch wieder. Die Kaufleute zogen südlich auf Passau zu, während Martin den östlichen Weg nach Prag einschlug. Wenn ihm die Witterung gewogen blieb, so hoffte Martin, konnte er die kaiserliche Residenzstadt in weniger als drei Tagen erreichen.
In der folgenden Nacht zog klirrender Frost über das Land. Martin beschloß, eine Rast einzulegen. Es kostete ihn viel Zeit und Mühe, trockenes Holz für ein Feuer zusammenzutragen.Er legte sich auf eine Decke, zog seinen Mantel enger um die Schultern und döste kurz ein.
Lautes Wolfsgeheul ließ ihn aufschrecken. Martin befürchtete, daß die Meute, die sich dort im Wald verbarg, über ihn herfallen würde, doch das Feuer schien die Tiere auf Distanz zu halten.
In dieser Nacht fand er nicht mehr in den Schlaf. Statt dessen gingen ihm die altvertrauten Gedanken durch den Kopf. Rupert und Berthold blieben seine ständigen Begleiter, doch er mußte nun auch oft an Thea denken, und während er schlotternd vor Kälte seine Arme rieb und dem Heulen der Wölfe lauschte, wünschte er sich, sie wäre hier bei ihm und könnte ihm ein wenig Wärme schenken.
Am nächsten Morgen glaubte er um Jahre gealtert zu sein. Auch die Decke hatte nicht verhindert, daß die Kälte des Untergrunds in seine Knochen gezogen war. Seine Glieder fühlten sich so steif an wie Conrads Finger bei einem Gichtanfall.
Da der Schlamm inzwischen gefroren war, hielt Martin es für zu gefährlich, weiterzureiten. Er hielt Eris am Zügel und führte sie zu Fuß vorwärts. Frierend und hungrig stapfte er durch die Wälder und erreichte Prag erst nach fünf langen Tagen.
Hier in der Stadt konnte er zwar endlich wieder eine Nacht unter dem Dach eines Brauhauses verbringen, doch zu seinem Verdruß erfuhr er rasch, daß er noch immer nicht am Ziel seiner Reise angelangt war.
Der Wirt berichtete ihm, daß große Teile Böhmens und so auch Prag im Verlauf des Herbstes von sächsischen Verbänden eingenommen worden waren. Die spärlichen kaiserlichen Truppen hatten kaum Widerstand geleistet. Man sprach davon, daß die katholischen Landsknechte in die zwei Tagesritte entfernte Stadt Gitschin gezogen waren. Gitschin, so erfuhr Martin, diente dem vom Kaiser in Ungnade entlassenen Herzog Albrecht von Wallenstein alsResidenz. In
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