Der Glasmaler und die Hure
Männer gezogen sind?« wollte Martin wissen.
Der Korporal überlegte einen Moment. »Halberstadt.« Er kratzte seinen Schädel. »Ja, sie sprachen davon, nach Halberstadt zu gehen.«
Martin dankte dem Korporal für dessen Auskünfte und ging in bedrückter Stimmung davon. Er hatte gehofft, seine Suche würde in Gitschin ein Ende finden, doch nun war er gezwungen, nach Halberstadt zu reisen. Ein Weg, für dessen Bewältigung er selbst bei günstigsten Bedingungen wohl mehr als einen Monat benötigen würde. Und jeder Tag entfernte ihn weiter von Thea und der schwedischen Armee.
Traurig strich Martin Eris über die kalten Nüstern. Die Stute war ihm nach ihrer anfänglichen Sturheit sehr ans Herz gewachsen und zu einer treuen Begleiterin geworden. Auch in ihren Augen glaubte er eine gewisse Resignation zu entdecken.
»Du ahnst, was auf uns zukommt, nicht wahr, altes Mädchen. Wir werden noch sehr lang unterwegs sein.«
Martins Ritt führte ihn zurück an die Ufer der Elbe. Unweit von Prag, in der Nähe der Stadt Neratovice machte er sich auf die Suche nach einem Fährschiff. Die Reise auf dem Wasser würde ihm Schutz vor Frost und Überfällen bieten. Schon am folgenden Tag erwarb er die Passage an Bord eines Einmasters, dessen Kapitän die Elbe hinauffuhr. Martin schaffte die nervös tänzelnde Eris unter das Deck. Die Stute schnaubte unwirsch, ihr schien die Unterbringung in dem dunklen und engen Verschlag nicht zu behagen, doch zumindest wurde sie hier mit sauberem Hafer und frischem Wasser versorgt.
Neben Eris waren zwei Maulesel angebunden worden. Dahinter befand sich eine notdürftig abgetrennte Ecke, die den Passagieren als Schlafplatz diente. Ansonsten war das untere Deck mit Frachtgut zugestellt, das bis an die Ostseeküste geschifft werden sollte. Neben zahlreichen Branntweinfässern entdeckte Martin einige Kisten mit Rinderfellen, und er nahm zudem den auffälligen Geruch fremdartiger Gewürze wahr.
Außer dem Kapitän und der fünfköpfigen Besatzung reiste noch ein etwa dreißigjähriger Jude mit ihnen, der sich Martin als Amschel Geiger aus Torgau vorstellte.
Zunächst hielt sich Martin von dem Juden fern und verfolgte argwöhnisch dessen befremdliche Rituale. Als Martin am ersten Morgen ihrer Reise aufwachte, kniete Amschel Geiger neben ihm und beugte sich vor und zurück, während er in einer fremden Sprache betete. Am sonderbarsten kamen Martin dabei die kleinen schwarzen Kästchen vor, die sich der Jude mit dünnen Lederriemen um den Kopf und um den linken Arm gebunden hatte. Hier, auf dem düsteren Unterdeck, im schalen Licht einiger Talglichter, erschien Martin dieses Gebaren wie ein gräßlicher heidnischer Ritus.
Amschel Geiger erwies sich allerdings bald als äußerst geselliger Mensch, der oft das Gespräch mit Martin suchteund gerne von sich erzählte. So erfuhr Martin, daß Geiger in Frankfurt aufgewachsen und später mit seiner Familie nach Torgau übergesiedelt war. Er kehrte mit diesem Schiff aus Prag zurück, wo er seinem Onkel am Totenbett die letzte Ehre erwiesen hatte.
Doch erst als Geiger ihm eröffnete, daß er in Torgau als Arzt arbeitete, wurde Martins Neugier geweckt. Amschel Geiger behandelte vor allem Frauen, stand aber auch deren Männern mit seinem Rat zur Seite, wenn der Kinderwunsch in der Familie ausblieb. Er erklärte Martin, daß die Fortpflanzung für das Volk Israels von größter Wichtigkeit war – in welchem Land der Erde sie sich auch befinden mochten. Ein schwacher Samen oder die Unfruchtbarkeit der Frau galt für einen Juden als schlimmes Schicksal, und Geiger war stolz auf jeden Erfolg, den er erringen konnte, indem seine Patienten – wenn auch oft erst nach langen Jahren – mit einem gesunden Kind gesegnet wurden.
Martin lauschte den Schilderungen des Juden, die dieser oft mit kleinen Anekdoten anreicherte, und war mittlerweile froh darüber, daß sich Amschel Geiger hier auf diesem Schiff befand. Seine Berichte ließen die Zeit rasch vergehen und lenkten Martin von den Sorgen und düsteren Gedanken ab, die ihn so häufig plagten.
Drei Tage vor Weihnachten nahm der Kapitän unweit von Dresden zwei weitere Passagiere an Bord. Die beiden Dominikanermönche waren aus einem Erfurter Kloster geflohen, das von dem schwedischen Heer geplündert und niedergebrannt worden war.
Die Mönche verachteten die Schweden. Vor allem Bruder Bartholomäus, ein beleibter, wortgewaltiger Mann mit donnernder Stimme, ereiferte sich so heftig über Gustav Adolfs
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