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Der Glasmaler und die Hure

Der Glasmaler und die Hure

Titel: Der Glasmaler und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
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Koppel der Stuten eilte und einen Apfelschimmel mit ausladenden Schultern zu ihnen führte. Die Finnin nahm Martins Hand und legte sie auf den Kopf des Pferdes – wohl als Zeichen, daß sie ihm das Tier überließ. Martin verstand nicht viel von Pferden, aber die Stute machte durchaus einen kräftigen Eindruck auf ihn.
    »Eris«, sagte Maija. Sie deutete auf die Stute.
»Se kuuluu teille.«
    Martin strich der Stute über die Mähne und betrachtete sie stolz. Dankbar küßte er Maijas Stirn.
    Sie lächelte beschämt, griff nach seiner Hand und umschloß sie mit ihren Fingern. »Gottes Segen mit Euch«, sagte sie. Es war das erste Mal, daß sie Worte in seiner Sprache an ihn richtete.
     
    Am 2. Oktober machte Martin sich zum Aufbruch bereit. Nachdem er Eris gesattelt und gezäumt hatte, besuchte er einen Feldgottesdienst, den ein junger Geistlicher abhielt, lauschte der Predigt und ließ sich den Segen erteilen.
    Im Grunde setzte Martin seit der Plünderung von Magdeburg kein rechtes Vertrauen mehr in die Kirche. Er war schon vor der Katastrophe ein Skeptiker gewesen, was zu so mancher Meinungsverschiedenheit mit seinem Bruder Sebastian geführt hatte. Obwohl er seit Sophias Tod nichtmehr an die schützende Hand Gottes glauben konnte, verlangte es ihn an diesem Morgen dennoch nach den hoffnungsvollen Worten eines Priesters.
    Nach dem Gottesdienst kehrte er zu Conrads Wagen zurück und verstaute mehrere Decken, eine Ledertasche mit Proviant und einen Wasserschlauch auf Eris’ Rücken. In der Tasche befanden sich zudem ein Dolch und die Pistole, die er auf dem Schlachtfeld einem Toten abgenommen hatte. Bei der Pistole handelte es sich um eine hübsch verzierte Radschloßbüchse mit schneckenförmigem Kolben. Allem Anschein nach die Waffe eines Offiziers. Auf dem Schlachtfeld hatte er auch all das gefunden, was er brauchte, um die Pistole überhaupt benutzen zu können: ein Pulverhorn, einen ledernen Kugelbeutel mit einem Dutzend Bleigeschossen, gefettete Stoffläppchen zur Abdichtung, ein Pulver mit Zündkraut sowie eine Räumnadel zum Säubern des Zündlochs.
    Martin hatte die Waffe gründlich gereinigt und sich von einem deutschen Landsknecht die Funktion des Ladens und die Handhabungsweise erklären lassen. Stets, wenn er die Pistole in den Händen hielt, stellte er sich vor, wie er sie auf Rupert richten und ihm ein Loch in den Bauch schießen würde.
    Rupert! Nun, da er wußte, daß sein Vetter lebte, war sein Haß auf ihn noch stärker geworden. Es verlangte ihn danach, Rupert so bald wie möglich gegenüberzustehen und ihn ein für allemal aus seinen Träumen zu verbannen.
    War das möglich? Würde er den Schmerz wirklich nicht mehr spüren, wenn er Rupert getötet hatte? Er wußte es nicht, aber er versuchte daran zu glauben, daß seine Rache Sophias Tod erträglicher machen würde.
    Bevor Martin aufbrach, suchte er noch einmal Thea auf. Der Abschied von ihr fiel ihm schwer. Thea hatte ihm stets zur Seite gestanden. Vielleicht hatte sie sogar recht, wenn sie befürchtete, daß ihnen ein Abschied für immer bevorstand.In diesen Zeiten barg eine Reise viele Gefahren. Die Straßen waren unsicher, denn Scharen von Marodeuren streiften durch das Land, und ein einsamer Reiter war ihnen schutzlos ausgeliefert. Auch das Wetter konnte ihm zum Verhängnis werden. Der Winter stand bevor, und noch bevor er in Prag eintreffen würde, konnten ihn klirrende Kälte und Hunger das Leben kosten. Und Thea? Auch sie war Gefahren ausgesetzt. Hier im Troß konnte schon morgen eine Seuche ausbrechen, die den Tod mit sich bringen würde. Als Hure kam sie zudem mit so vielen Männern zusammen, daß sie diesen Krankheiten weitaus stärker ausgesetzt war als andere Frauen.
    Er fand sie in der Nähe des Wagens, wo sie auf einem Schemel hockte und ein Loch in ihrem Kleid stopfte. Thea war anzusehen, daß sie seinen Entschluß noch immer nicht akzeptieren konnte. Doch was sie sagte, überraschte ihn.
    »Ich möchte mit dir kommen.«
    Martin schüttelte den Kopf. »Das ist keine gute Idee. Wenn die Stute uns beide tragen müßte, befürchte ich, daß sie früher oder später unter dieser Last zusammenbricht.«
    »Wir könnten abwechselnd reiten. Oder ich bitte Jöran Poutiainen, uns ein zweites Pferd anzuvertrauen.«
    »Diesen Weg muß ich allein gehen«, erwiderte er unmißverständlich. »Ich werde dich nicht mit mir nehmen.«
    Thea zog ein enttäuschtes Gesicht, auch wenn sie mit dieser Reaktion wohl gerechnet hatte.
    »Kümmere dich um

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