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Der Glasmaler und die Hure

Der Glasmaler und die Hure

Titel: Der Glasmaler und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
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diesem Ort war der ehemalige Feldherr bestrebt, die Pracht und Eleganz europäischer Fürstenhöfe zu kopieren. Und es hieß, Wallenstein habe begonnen, Soldaten zu werben, um eine neue, mächtige Armee aufzustellen.
    Martin blieb zwei Tage in Prag, dann folgte er dem Lauf der Cidlina, einem Nebenfluß der Elbe, der ihn nach Gitschin führte.
    Es war wieder etwas wärmer geworden. Die Schneeschmelze verwandelte den Boden in einen braunen Sumpf. Trotz der widrigen Umstände kam Martin nicht umhin, die Umgebung zu bewundern. Wenn er die bizarren Felsformationen und die verwunschenen Wälder betrachtete, wünschte er sich, er wäre im Frühling durch die böhmischen Lande gereist, denn dann mußte die Gegend einem märchenhaften Traum gleichkommen.
    Als Martin sein Ziel erreichte, wurde ihm schnell klar, daß alles, was er über die Residenz des Herzogs erfahren hatte, der Wahrheit entsprach. Gitschin spiegelte deutlich das Geltungsbedürfnis eines vermögenden Edelmanns wider. Selbst jetzt im Winter wurden viele neue Häuser errichtet, vorhandene Gebäude mit Verzierungen versehen, Straßen gepflastert oder Bäume gefällt, um Platz für die Ausdehnung der Stadt zu schaffen. Das Zentrum Gitschins wurde von Bürgerhäusern, von einem langgestreckten Schloß und von einer Kirche eingerahmt. Der Herzog schien klare, einfache Formen zu bevorzugen, die ein Gefühl von Macht und Stärke ausstrahlen sollten.
    In der Stadt selbst herrschte ein reges Treiben. An mehreren Orten waren Werbe- und Musterplätze eingerichtet worden, zu denen die Neuankömmlinge strömten, um sich in Wallensteins Armee einzuschreiben und ihren ersten Sold entgegenzunehmen. Nahe der Residenz hielten sich viele, in prächtige Uniformen gekleidete Offiziere auf. Selbst die gewöhnlichsten Landsknechte, die sich größtenteils ineinem westlich der Stadt aufgeschlagenen Lager versammelten, wirkten wohlgenährt und gesund. Offensichtlich verfügte der Herzog tatsächlich über genügend Mittel, um ein Heer auszurüsten und zu verpflegen. Noch war die Anzahl der Soldaten in dieser Armee eher gering. Martin schätzte, daß sie eine Stärke von zwei-, vielleicht dreitausend Mann betragen mochte, aber kampfbereite Männer kamen aus allen Himmelsrichtungen in die Stadt. Wenn der Winter vorüber war, so befürchtete er, würde Wallensteins Heer zu einer ernsthaften Gefahr für die Pläne des schwedischen Königs werden.
    Martin führte Eris eine Zeitlang durch das Armeelager und betrachtete zwischen den Zelten und Hütten aufmerksam jedes einzelne Gesicht. Vor Anspannung fiel ihm das Atmen schwer. Wahrscheinlich hielten sich Rupert und Berthold irgendwo zwischen diesen Männern auf. Martin erwartete in jedem Moment, einem von ihnen gegenüberzustehen. So manches Mal glaubte er, einen seiner Vettern erkannt zu haben, doch bei genauerem Hinsehen erwiesen sich die Männer stets als Fremde.
    Geraume Zeit später, nachdem er erfolglos durch das gesamte Lager gestreift war, entschloß er sich, Erkundigungen über den Verbleib der Bockstein-Kompanie einzuholen. Die ersten, die er fragte, zuckten nur mit den Schultern und konnten ihm nicht weiterhelfen. Nach einer Weile traf er jedoch auf einen jungen Burschen, der sich gegen eine geringe Entlohnung anbot, ihn zu einem Korporal der Kompanie zu führen.
    Der vierschrötige Korporal, der damit beschäftigt war, einen Hasen auszunehmen, eröffnete Martin, daß er sich gut an Rupert und dessen Bruder erinnern konnte. Er hatte sie nach dem Fall von Magdeburg auf ihrem Marsch nach Prag begleitet. Der Korporal hatte oft mit ihnen gesprochen und beschrieb Rupert als einen seltsamen Zeitgenossen, der nicht viel von sich preisgab und jedermann zumißtrauen schien – außer seinem Bruder, den er augenscheinlich wie einen Engel vergötterte.
    Martins Hoffnung, endlich sein Ziel erreicht zu haben, zerschlug sich jedoch schnell. Der Korporal berichtete ihm weiter, daß er zwar zusammen mit Rupert und Berthold in Prag angekommen war, daß die beiden Brüder jedoch nach der Nachricht von der kaiserlichen Niederlage bei Breitenfeld wie viele andere die Kompanie verlassen hatten, um sich den Schweden anzuschließen. Mehr als die Hälfte der Bockstein-Kompanie kämpfte nun für die protestantische Seite.
    »Sie drehen ihre Fahnen nach dem Wind«, sagte der Korporal und spuckte verächtlich aus. »Aber vielleicht werden sie schon bald von einem Sturm überrollt, der Blitz und Donner über sie bringt.«
    »Könnt Ihr mir sagen, wohin diese

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