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Der Glasmaler und die Hure

Der Glasmaler und die Hure

Titel: Der Glasmaler und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
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Armee, daß ihm der Kopf rot anschwoll. Er stieß Flüche aus, die Martin einem Gottesmann nicht zugetraut hätte und nannte die Schweden ein Volk von geiferndenBluthunden, deren Aufstand gegen die altehrwürdige katholische Kirche sie zusammen mit den aasfressenden deutschen Protestanten geradewegs in den Höllenabgrund führen würde. Dort in den Flammen des Purgatoriums, so hoffte Bruder Bartholomäus, würden die Feuerlanzen dem schwedischen König und dem Geschmeiß, das ihm folgte, bis in alle Ewigkeit in die Ärsche fahren.
    Martin ahnte, daß die Dominikaner mit ihrer lautstarken Entrüstung die Enttäuschung über die momentane politische Lage zu verarbeiten suchten. Mit dem Sieg von Breitenfeld und der Zerschlagung der kaiserlichen Armee hatten die protestantischen Kräfte in Deutschland einen überwältigenden Erfolg errungen. Und während der Kaiser an seinem Hof in Wien mit dem Schicksal haderte, war es an Gustav Adolf, über das deutsche Schicksal zu bestimmen.
    Martin verschwieg den Mönchen, daß er über Monate hin mit dem Schweden durch das Land gezogen war und daß er insgeheim mit ihnen sympathisierte, weil er befürchtete, die beiden würden andernfalls ihre Christenpflichten vergessen und ihn in ihrem Zorn von Bord stoßen. Daher zog er es vor, seinen Mund zu halten und befragte die beiden, nachdem sie sich ein wenig beruhigt hatten, über die militärische und politische Lage in den deutschen Landen.
    Er erfuhr, daß allgemein erwartet worden war, daß Gustav Adolf den Krieg beenden würde. Die katholische Bedrohung war aus dem Weg geschafft worden, und die Ostseeküste lag fest in schwedischer Hand. Ein Kompromißfrieden mit äußerst günstigen Bedingungen für die protestantische Seite lag in greifbarer Nähe, doch Gustav Adolf hatte allem Anschein nach eine andere Entscheidung getroffen.
    Die schwedische Armee war nach Südwesten gezogen und hatte das wohlhabende und vom Krieg unberührteMaintal geplündert. Militärisch konnte Kaiser Ferdinand dieses Vorgehen nicht unterbinden, denn die Regimenter, die noch unter seiner Fahne kämpften, waren dem gewaltigen schwedischen Heer hoffnungslos unterlegen. Man befürchtete gar, daß Gustav Adolf im nächsten Jahr einen Sturm auf Wien unternehmen würde und damit den gesamten deutschen Katholizismus bedrohte.
    Nach den sachlichen Schilderungen gingen die Dominikaner wieder zu ihren wüsten Beschimpfungen über und bezeichneten Gustav Adolf und all jene, die ihm folgten, als gottverdammte Teufel, deren Seelen auf ewig verdammt waren.
    Martin seufzte. Er mußte sich eingestehen, daß er mittlerweile die Gesellschaft dieser »Teufel« sehr vermißte.
    Und vor allem wünschte er sich, Thea wäre an seiner Seite.
     
    An den Weihnachtstagen zog eine bittere Kälte herauf. Das Wasser der Elbe gefror und machte ein Weiterkommen auf dem Fluß unmöglich. Das Schiff legte am Ufer an. Besatzung und Passagiere verbrachten gemeinsam das Weihnachtsfest an einer glühenden Kohlenpfanne und nahmen ein asketisches Festmahl zu sich, das aus salzigen Heringen, hartem Graubrot und einer großzügigen Menge Branntwein bestand.
    Nur Amschel Geiger fehlte in dieser Runde. Die Dominikaner hätten seine Anwesenheit nicht zugelassen. Manchmal fragte sich Martin, wem die beiden Mönche mehr Haß entgegenbrachten: den schwedischen Invasoren oder diesem Juden, in dessen Nähe die Mönche ausspuckten und so schnell das Weite suchten, als würde ihnen das Fleisch vom Körper faulen, wenn sie diesem Mann zu nahe kamen.
    Nachdem er Eris’ Unterstand ausgemistet und das Pferd mit frischem Hafer versorgt hatte, gesellte Martin sich zu den anderen, die sich in der Kajüte des Kapitäns aufhielten.Seine Augen brannten vom Tabakqualm. Er nahm einen Bissen Fleisch zu sich und lauschte den Texten, die Bartholomäus lustlos aus seinem Stundenbuch rezitierte. Zwei der Matrosen schliefen bereits, die anderen folgten gelangweilt dem Vortrag über die Geburt des Heilands. Martin stellte bald fest, daß in ihm keine besinnliche Stimmung aufkommen wollte. Kurz darauf zog er sich zurück und trat aus der Kajüte auf das Oberdeck.
    Die Luft war klirrend kalt. Martin rieb seine Arme und betrachtete den sternenklaren Himmel. Er trat zum Bug des Schiffes und stierte gedankenverloren auf die gefrorene Elbe. Den ganzen Tag über war sein Kopf wie leer gewesen. Er hatte weder an die Zeit in Magdeburg noch an Thea und auch nicht an Rupert oder Berthold gedacht. Nun aber stahl sich Sophia in seine

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