Der Glasmaler und die Hure
dem Mann ein Auge, aber das war auch schon seine einzige Gemeinsamkeit mit Rupert. Er sah ihm nicht einmal entfernt ähnlich.
Rasch wandte Martin sich um und stürmte aus dem Haus. Er verbarg sich in der Gasse, wo er sich zitternd an eine klamme Hauswand lehnte. Die Pistole glitt ihm aus der Hand und fiel auf die Erde.
Er hatte geglaubt, seine Seele würde an diesem Tag den ersehnten Frieden finden – hatte gehofft, die Feuer in seinem Kopf würden erlöschen.
Aber er hatte sich getäuscht. Und er wußte nicht, wie lange er noch die Kraft aufbringen würde, seine Suche fortzusetzen.
Nach diesem Fehlschlag machte sich Martin daran, weitere Söldner nach dem Verbleib von Rupert und Berthold zu befragen. Seine Mühe blieb jedoch ohne Erfolg. Niemand konnte ihm eine Auskunft über die beiden geben. Martin sprach mehr als hundert Männer und Frauen an; stets erntete er Kopfschütteln.
Nach drei Tagen in Halberstadt war er davon überzeugt, daß Rupert und Berthold niemals an diesem Ort angekommen waren.
Er hatte ihre Spur verloren.
Martin ertränkte seinen Kummer über die mißglückte Suche in mehreren Krügen billigen Weines. Des Nachts torkelte er aus der Schenke, erbrach sich auf der Straße und fiel auf das kalte Pflaster.
Die Stimme einer Frau ließ ihn aufschauen.
»Es gibt bessere Orte, an denen du die Nacht verbringen könntest.« Eine Hand faßte sein Wams und zog ihn auf die Beine. »Wirst dir dort auf dem Pflaster den Tod holen. Wärst gewiß nicht der erste, dem das passiert.«
»Thea …«, krächzte er, aber im nächsten Moment begriff er, daß nicht Thea ihm aufgeholfen hatte, sondern eine füllige, rothaarige Frau, die ihm fremd war.
»Hast’n paar Groschen für mich übrig? Dann bring ich dich an einen Ort, an dem du dich an mir wärmen kannst.« Sie schob ihre Hand zwischen seine Beine und ließ keinen Zweifel entstehen, welchen Dienst sie ihm zukommen lassen wollte. Martins Geist war noch immer vom Wein vernebelt. Er kramte in seinen Taschen, bis er einige Münzen fand. Die Frau nahm das Geld an sich, legte einen Arm um ihn und führte ihn in ein Haus, wo sie die Treppe bis in das oberste Geschoß hinaufstiegen. Lachend schob die Dirne Martin in eine schmale Kammer und setzte ihn unter der Dachschräge auf ein Bett. Sie richtete sich vor ihm auf und löste rasch die Schnüre an ihrem Hemd. Zwei schlaffe Brüste mit großen Brustwarzen kamen zum Vorschein.
»Thea«, murmelte Martin noch einmal, doch trotz seiner Trunkenheit gelang es ihm nicht, sich selbst zu täuschen. Die Frau dort vor ihm hatte nichts mit Thea gemein. Er schaute in ihr faltiges Gesicht. Die Hure hätte seine Mutter sein können.
»Nenn mich, wie du willst«, meinte sie und streifte ihrenRock und das Unterkleid ab. Martin richtete seinen Blick auf die kupferrote Scham, die ihn nicht erregte, sondern abstieß.
»Leg endlich deine Kleider ab. Ich habe nicht die ganze Nacht Zeit für dich«, drängte die Dirne, doch Martin erhob sich und torkelte zur Tür.
»Behalt das Geld«, sagte er und stolperte die Treppe hinunter. Die kühle Luft auf der Straße ließ seinen Kopf so klar werden, daß er den Weg zurück in den Stall fand, in dem Eris untergebracht worden war. Er fiel neben der Stute in das Stroh, und seine Gedanken waren bei Thea, als er in den Schlaf sank.
Im ersten Morgenlicht erwachte er mit schrecklichen Kopfschmerzen. Seine Knochen waren schwer, und er fühlte sich elendig. Nur dunkel erinnerte er sich an die Begegnung mit der Hure und daran, daß seine Suche nach Rupert und Berthold endgültig gescheitert war. Nun würde er zu Thea und Conrad zurückkehren. Auch wenn es ihn enttäuschte, daß er all diese Mühen für nichts und wieder nichts auf sich genommen hatte, war er im Grunde doch sehr erleichtert über diese Entscheidung.
Zunächst allerdings ritt er in die nahe gelegene Stadt Oschersleben. Er hatte in den letzten Tagen kaum Nahrung zu sich genommen, zudem besaß er kein Geld mehr und war so erschöpft, als strecke der Tod bereits seine Hand nach ihm aus. In Oschersleben wohnten eine Schwester seiner Mutter und deren Ehemann, der in der Stadt eine Schuhmacherwerkstatt betrieb. Martin hoffte, für eine paar Tage bei ihnen ein Quartier zu finden, denn die Kälte machte eine Weiterreise unmöglich.
Es waren an die fünf Jahre vergangen, seit Martin der Oscherslebener Verwandtschaft einen Besuch abgestattet hatte. Dennoch fiel es ihm nicht schwer, das Haus des Schuhmachers zu finden.
Er klopfte
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