Der Glasmaler und die Hure
eine Seitentür in die Kapelle zog.
»Wie oft habe ich euch gesagt, daß ich euch hier nicht betteln sehen will. Ihr verlausten Mistkäfer legt es darauf an, daß ich …«
Sebastians Wortschwall brach abrupt ab, als er den knienden Martin erblickte. Einen Augenblick lang stand er mit offenem Mund da und starrte ihn an, während die Knaben winselnd in seinem Griff zappelten. Schließlich ließ er die beiden los, und sie stürmten aus der Kirche.
Martin erhob sich und trat zu seinem fassungslosen Bruder.
»Träume ich?« fragte Sebastian leise.
»Schläfst du denn?« erwiderte Martin.
Sebastian kniff sich in den Arm und schüttelte den Kopf. »Es ist wahr«, stellte er erleichtert fest. »Du lebst.« Er umarmte Martin und drückte ihn so fest an sich, als könne er sich nur auf diese Weise davon überzeugen, daß Martin wahrhaftig vor ihm stand.
»Ich hab so oft um dieses Wunder gebetet, aber im Grunde niemals daran geglaubt. Es hieß, alle Bürger, die versucht haben, aus Magdeburg zu fliehen, wären erschlagen worden.«
»Nicht alle. Einigen ist die Flucht gelungen. Und mir wurde die Gnade zuteil, das Inferno zu überstehen.«
Sebastian reckte den Hals und schaute zum Eingangsportal. »Und Sophia? Begleitet sie dich? Warum tritt sie nicht ein?«
Martin zögerte einen Moment, bevor er antwortete: »Sie ist nicht hier.«
»Aber sie lebt doch.«
Er schüttelte den Kopf. »Sophia ist tot. Sie ist in Magdeburg gestorben.«
Sebastians freudige Überraschung wich tiefer Betroffenheit. Seine Züge wirkten wie versteinert, als er diese traurige Nachricht vernahm. Er legte tröstend eine Hand auf Martins Schulter.
»Welch schreckliche Prüfung ist über uns gekommen«, sagte Sebastian matt. »Die Mordbrenner haben uns alles genommen, was uns lieb war.«
Martin schaute seinen Bruder an, dann schloß er ihn noch einmal in die Arme. »Nicht alles«, meinte er und legte seine Stirn auf Sebastians Schulter. »Nicht alles.«
Sebastians Unterkunft befand sich in der Nähe der Kirche. Er bewohnte zwei kleine Kammern im Dachgeschoß eines Bürgerhauses, an das auch eine Stallung angeschlossen war, in der Martin die Stute unterbringen konnte.
Nachdem Eris versorgt worden war, gesellte sich Martin zu Sebastian in die Wohnstube, wo er sich an einem Ofen aufwärmen konnte.
Der Raum war schlicht und zweckmäßig eingerichtet und ließ jeglichen Zierat vermissen. Nur ein Holzkruzifix, das zwischen den beiden Fenstern angebracht worden war, schmückte die Wände.
Martin streckte seine klammen Finger nach dem Ofen aus. »Ich habe während meiner Reise die Kälte zu hassen gelernt. Wenn man einen ganzen Tag und eine ganze Nacht durch Schnee und Eis reitet und glaubt, jedes Glied am Körper wäre erfroren, erscheint einem ein Feuer wie das größte Wunder auf Erden.«
Sebastian nickte. »Letztlich bleibt das Leben das höchste Gut. Als ich in Magdeburg mein Ende kommen sah,habe ich zum Herrn gebetet und ihm versprochen, daß ich mein Leben stets in Demut verbringen will, wenn er mich vor dem Tod errettet.«
»Du warst doch schon seit jeher bescheiden, Sebastian. Nach Geld oder Besitz hast du dich nie gesehnt. Selbst als Kind hast du mit Freuden auf viele Dinge verzichtet, die mir lieb und teuer waren.«
»Niemand kennt wirklich die Sehnsüchte des anderen.« Sebastian lächelte, füllte Wein in einen Topf, stellte ihn auf den Ofen und gab einige getrocknete Kräuter hinzu. »Aber wahrscheinlich hast du recht. Der Einsatz für meine Seele war nicht besonders hoch.« Er maß die kleine Stube mit zufriedenem Blick. »Mein Leben ist schlicht, doch wenn man ein Inferno wie Magdeburg überlebt hat, ist man fortan genügsam.«
Bald schon war der Wein heiß genug. Sebastian füllte den dampfenden Inhalt des Topfes in zwei Zinkpokale und reichte einen davon an Martin weiter.
»Du hast in allem recht behalten«, sagte Martin, nachdem er vorsichtig den Wein gekostet hatte.
»Was meinst du?«
»Deine Vermutung über die Pläne des Obristen Falkenberg. Ich wollte diese Befürchtung nicht teilen, wurde aber schmerzhaft eines besseren belehrt.«
»Zu manchen Zeiten sollte man auf die Worte seines älteren Bruders vertrauen«, meinte Sebastian.
»Ich war solch ein Narr.«
»Du hättest nichts gegen das Unglück unternehmen können, ob du mir nun geglaubt hättest oder nicht.«
Martin verzog das Gesicht. »Die Katastrophe verfolgt mich wie ein Dämon. Sie quält mich in meinen Träumen und auch am Tage.«
»Ich weiß, was du
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