Der Glasmaler und die Hure
meiner Seite und lauscht meinen Gebeten.«
Martin nickte, und schon kurz darauf stimmte Amschel einen melodischen Gesang in den Worten seines Volkes an. Auch Martin faltete die Hände und sprach in Gedankensein erstes Gebet seit langer Zeit. Er erflehte ein baldiges Ende seiner Reise und daß er eines Tages wohlbehalten zu Thea zurückkehren würde. Dafür aber, so befürchtete er, war ein ähnliches Wunder vonnöten wie das, von dem ihm Amschel Geiger berichtet hatte.
Erst zur Mitte des Januars setzte Tauwetter ein. Das Eis, das die Elbe bedeckte, wurde brüchig, und sie setzten endlich die Reise fort.
Amschel Geiger ging wenige Tage später in Torgau von Bord. Martin reichte dem Juden zum Abschied die Hand und spürte die mißmutigen Blicke der Dominikaner auf sich ruhen. Es kümmerte Martin nicht, ob sie die Freundlichkeit verachteten, die er Amschel Geiger entgegenbrachte. Er hatte die Gespräche mit diesem Mann genossen, und es betrübte ihn, den Rest der Reise ohne ihn fortzusetzen.
Aber auch Martins Zeit auf dem Schiff neigte sich dem Ende zu. Eine knappe Woche später setzte er seine Reise auf dem Landweg fort, denn nun konnte er Halberstadt in einem Zweitagesritt erreichen.
In der Nacht setzte ihm die Kälte arg zu, doch Martin trieb Eris unerbittlich voran. Der Gedanke, daß er den Mördern seiner Frau nun bald gegenüberstehen würde, setzte neue Kräfte in ihm frei und ließ ihn rastlos vorwärtseilen, so daß er Halberstadt bereits vor Einbruch der Dämmerung des nächsten Tages erreichte.
Martin führte Eris durch die Straßen, musterte jedes Gesicht und besuchte zahlreiche Schenken, in denen sich Soldaten aufhielten. Seine Suche blieb jedoch erfolglos.
Am dritten Tag in der Stadt, sprach er mit mehreren Landsknechten, nannte ihnen Ruperts Namen und beschrieb den Soldaten und dessen markantes Äußeres. Tatsächlich fand sich schon bald ein Kerl, der angab, sich vor einem Monat mit einem Einäugigen aus der Kompaniedes Hauptmanns Bockstein nach Halberstadt abgesetzt zu haben. Und er glaubte sich zu erinnern, daß der Name dieses Mannes Rupert gewesen war.
Martin bot dem Söldner einige Münzen an, wenn er ihn an den Ort brachte, an dem sich Rupert aufhielt. Der Mann nahm dieses Angebot gerne an und führte Martin durch mehrere schmale Winkelgassen, bis sie ein heruntergekommenes Bürgerhaus erreichten, vor dessen Eingang zwei betrunkene Soldaten ihren Rausch ausschliefen.
»Dort findest du den Einäugigen!« Der Landsknecht griente und entblößte dabei häßliche Zahnstümpfe.
Martin gab ihm das vereinbarte Geld und schickte ihn fort. Eine Weile beobachtete er das Fachwerkgebäude, von dessen Fassade der Putz bröckelte und dessen Butzenscheiben in den Fenstern zum größten Teil zertrümmert waren. Er glaubte zu spüren, daß Rupert sich in diesem Haus aufhielt.
Mit zitternden Fingern machte er sich daran, seine Pistole zu laden. Er füllte das Pulver in den Lauf, schob die Kugel hinein und danach ein gefettetes Stoffläppchen zur Abdichtung. Zu guter Letzt schüttete er das Zündpulver auf die Pfanne und spannte den Hahn. Er verbarg die Pistole unter seinem Mantel, überquerte die Straße und betrat das Haus.
Der Geruch von Wein und Fäkalien stieg ihm in die Nase. Martin öffnete mehrere Türen und spähte in die Zimmer des Erdgeschosses, doch er stieß nur auf drei Landsknechte, von denen einer seine Muskete säuberte und die beiden anderen die Würfel fallen ließen.
Die Männer starrten ihn mürrisch an, doch Martin ließ sich davon nicht beirren und fragte sie: »Der Einäugige? Wo ist er?«
Zunächst reagierten die Männer nicht auf seine Frage. Dann aber deutete einer von ihnen nach oben. Martin verließ das Zimmer und stieg die Treppe in das obere Stockwerkhinauf. Seine Finger preßten sich fest um den Pistolenkolben.
Martin öffnete die erste Tür auf dem Korridor. Der Raum war leer. Auch im zweiten Zimmer blieb seine Suche erfolglos, doch in der dritten Kammer entdeckte er zwei Gestalten, die auf dem harten Bretterboden kauerten. Einer von ihnen wandte ihm sein Gesicht zu, und Martin stockte der Atem.
Er hatte diesen Moment so lange herbeigesehnt. Nun endlich zog er die Pistole hervor und richtete sie auf die entstellte Fratze des Einäugigen, der nicht recht zu begreifen schien, was mit ihm geschah.
Doch es war gar nicht Rupert.
Martin jaulte auf und stolperte einen Schritt zurück. Er hatte im letzten Augenblick erkannt, daß er einen Fremden bedrohte. Zwar fehlte
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