Der Glaspavillon
Umständen hätte mich seine professionelle Ruhe geärgert. Jetzt beneidete ich ihn darum, und die Distanz, die zwischen uns entstand, war mir sehr willkommen. Ich holte tief Luft.
»Alan hat Natalie ermordet.«
Clauds Gesichtsausdruck hätte wohl in jeder anderen Situation lächerlich gewirkt. Es herrschte völlige Stille.
»Ich habe gesehen, wie er es getan hat. Ich habe versucht, es für immer zu vergessen, aber jetzt erinnere ich mich wieder.«
»Wovon redest du? Was soll das heißen, du hast ihn gesehen?«
In knappen Worten berichtete ich ihm von meiner Therapie bei Alex Dermot-Brown. Einen Augenblick befürchtete ich schon, ich müßte mich wieder übergeben.
Clauds Gesicht verschwamm vor meinen Augen. Seine Hand legte sich auf meine Schulter wie eine Klaue.
»Du sprichst von meinem Vater. Du hast gerade behauptet, mein Vater hätte meine Schwester ermordet.
Und wer soll der Vater des Babys gewesen sein?«
Ich zuckte die Achseln.
»Entschuldige mich bitte einen Moment.«
Claud stand auf und verließ das Zimmer. Ich hörte Wasserrauschen. Als er zurückkam, trocknete er sich mit einem kleinen Handtuch das Gesicht ab. Dann setzte er seine Brille wieder auf und sah mich an.
»Gibt es irgendeinen Grund, der mich daran hindern könnte, dich hinauszuwerfen?«
»Ich weiß nicht, was ich tun soll, Claud.«
Er stand vor mir und blickte auf mich herab. Ich wollte nicht, daß er mich hinauswarf.
»Möchtest du einen Drink?«
»Ja«, antwortete ich erleichtert.
Claud goß uns beiden einen Whisky ein und blieb neben mir stehen, während ich gut die Hälfte hinunterkippte. Der Whisky versengte mir die Kehle und brannte sich einen Weg durch meinen leeren Magen, wo er dann wie Feuer brannte.
»Alles in Ordnung?« Ich nickte und trank noch einen Schluck. Claud nahm meine Hand, und ich ließ zu, daß er meine verkrampften Finger löste und streichelte. Lange rieb er meinen leeren Ringfinger.
»Jane, ich bin nicht glücklich über diese therapeutische Offenbarung. Du hast deine Ehe beendet, deine Söhne sind aus dem Haus, du hast Natalies Leiche entdeckt – bist du sicher, daß du dich nicht einfach in einem extremen Streßzustand befindest?«
»Du meinst, ich habe das erfunden?«
»Du sprichst von meinem Vater, Jane.«
»Tut mir leid. O Gott, es tut mir so leid. Was kann ich nur tun?«
»Auf einmal kommst du zu mir gelaufen, Jane, und fragst mich um Rat?«
Ich schwieg. Langsam ging Claud zum Fenster hinüber und starrte hinaus in die undurchdringliche Dunkelheit.
Volle fünf Minuten blieb er dort stehen, nur gelegentlich nippte er an seinem Whisky. Ich saß auf der Couch, ohne mich zu rühren. Schließlich kam er zu seinem Stuhl zurück und setzte sich mir gegenüber.
»Du hast keine Beweise«, sagte er schließlich.
»Ich weiß, was ich gesehen habe, Claud.«
»Ja«, meinte er mit unüberhörbarem Zweifel in der Stimme.
»Ich will offen mit dir sprechen, Jane. Ich glaube nicht, daß mein Vater Natalie getötet hat. Aber ich werde versuchen, dir aus dem Schlamassel herauszuhelfen, in den du dich gebracht hast. Aus zwei Gründen. Erstens wegen meiner Gefühle für dich, die du ja kennst. Zweitens weil ich verhindern will, daß eine zweite Katastrophe über die Familie hereinbricht. Und das würde passieren, so oder so, wenn du solche Anschuldigungen verbreitest. Wenn wir Alans Unschuld beweisen können, um so besser.«
»Was kann ich tun, Claud?«
»Gute Frage. Es gibt keine handfesten Beweise, keine Augenzeugen, abgesehen von dir.« Claud zog eine Augenbraue hoch. Eine lange Pause kehrte ein. »Eine Idee hätte ich, Jane, immerhin. Warst du schon mal im Arbeitszimmer meines Vaters?«
»Nicht mehr, seit ich klein war.«
»Was bewahrt er dort auf?«
»Seine Manuskripte vermutlich, seine Entwürfe, Exemplare seiner Bücher, Nachschlagewerke.«
»Und seine Tagebücher.«
»Um Himmels willen, Claud, er wird wohl kaum seine Tochter ermordet und es dann in seinem Tagebuch notiert haben.«
»Aber ich bin derjenige, der ihn für unschuldig hält, richtig? Wenn du an die Tagebücher aus dem damaligen Jahr herankommst, finden wir vielleicht ein Alibi für die Zeit, zu der du ihn gesehen haben willst, und möglicherweise gibt es Zeugen dafür. Ansonsten könnten uns die früheren Einträge gegebenenfalls Hinweise auf seine Gefühle geben.«
»Ich halte das nicht für sehr aussichtsreich.«
»Ach nein?« entgegnete er sarkastisch. »Na, dann entschuldige bitte, daß ich dir meine Hilfe aufgedrängt
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