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Der Glaspavillon

Titel: Der Glaspavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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habe. Vielleicht solltest du es lieber bei jemand anderem versuchen, bei Theo oder Jonah beispielsweise.«
    »Tut mir leid, Claud, so habe ich das nicht gemeint. Ich bin dir dankbar, wirklich. Es ist ja auch eine gute Idee, aber wie sollen wir es anstellen?«
    »Wann fährst du zur Beerdigung?«
    »Was? Oh, ich weiß noch nicht, Donnerstag wahrscheinlich. Und du?«
    »Ich fahre morgen. Hör zu, wenn ich eine Gelegenheit habe, versuche ich, mich ins Arbeitszimmer zu schleichen.
    Wenn es nicht klappt, mußt du es tun. Aber ich tue alles, was ich kann. Alles.«
    Er stand wieder auf und sah auf mich herunter. Ich erwiderte seinen Blick, ohne zu lächeln; seine Augen hielten mich in ihrem Bann, ich konnte nicht wegsehen.
    Plötzlich veränderte sich sein Gesicht, und er ließ sich neben mich aufs Sofa sinken. Diesmal griff ich nach seiner Hand. Er trug seinen Ehering noch, und ich drehte ihn langsam zwischen den Fingern. Tränen rannen ihm über die Wangen; ich wischte sie behutsam ab und nahm sein Gesicht in beide Hände.
    »Es tut mir leid, Claud.«
    Er schluchzte laut auf und rückte näher zu mir. Ich hielt ihn nicht zurück. Wie hätte ich das tun können? Er drückte den Kopf an meinen Hals, ich wehrte mich nicht. Langsam ließ er sich an meiner Brust hinabgleiten und verbarg sein tränenüberströmtes Gesicht in meinem Schoß.

    »Jane, Jane, bitte verlaß mich nicht. Ich kann nicht ohne dich leben, ich kann einfach nicht. Ohne dich ist alles anders. Ich schaffe das nicht allein. Du warst immer bei mir. Du hast mir immer geholfen. Immer. Wenn ich dich am meisten brauchte, warst du da. Du hast mich gerettet.
    Geh nicht. Nicht jetzt.«
    »Pssst.« Ich strich ihm übers Haar und spürte seinen Atem heiß an meinem Schenkel. Es war ein Gefühl, als begingen wir Inzest. »Psssst. Ist gut, Claud, weine nicht.
    Ich ertrage es nicht, wenn du weinst.« Er lag da wie ein zu groß geratenes Kind, und ich wiegte ihn in meinen Armen.

    29. KAPITEL
    Ich war wieder dort, wo alles begonnen hatte, in Alex Brown-Dermots Küche, mit einem großen Becher Kaffee.
    Alex unterhielt sich mit jemandem am Telefon, wobei er unverbindliche Laute von sich gab, eine Menge Hmmms und Ahas, ganz offensichtlich in der Absicht, den Anrufer abzuwimmeln. Immer wieder sah er zu mir herüber und warf mir einen aufmunternden Blick zu. Ich schaute mich um. In dieser Küche fühlte ich mich wohl: Sie war unaufgeräumt, Rezepte steckten an der Pinnwand, Rechnungen häuften sich auf dem Tisch, überall verstreut lagen Zeitungen, Fotos lehnten an Kerzenhaltern, Frühstücksgeschirr stapelte sich im Spülbecken, dazwischen Knoblauchzehen in einer Schale und Blumen in einer Vase. Ich bemerkte das Foto einer dunkelhaarigen Frau mit einem verlegenen Lächeln – vermutlich Alex’
    Frau. Ich überlegte mir, wie wichtig diese Küche wohl für den Verlauf meiner Therapie gewesen war. Hätte ich mich einem Mann mit einer ordentlichen, nüchternen Küche anvertraut?
    Endlich legte Alex auf und setzte sich mir gegenüber an den Tisch.
    »Noch Kaffee?«
    »Ja, bitte.«
    Es kam mir seltsam vor, mich auf gleicher Höhe mit ihm zu unterhalten, seinem Blick direkt zu begegnen.
    »Sie sehen ein wenig besser aus.«
    Heute morgen hatte ich ein Wollkleid mit tiefer Taille angezogen, einen witzigen kleinen Hut aufgesetzt und sogar Lippenstift und Wimperntusche benutzt.

    »Ich fühle mich auch ein wenig besser. Glaube ich jedenfalls.«
    Ich hatte so viel geweint, daß ich mich ganz ausgetrocknet fühlte.
    Alex beugte sich über den Tisch. »Jane«, sagte er mit seiner leisen, angenehmen Stimme, »Sie haben enormen Mut bewiesen, ich bin sehr stolz auf Sie. Ich weiß, daß es schwer gewesen ist.«
    »Warum fühle ich mich dann nicht besser?« platzte ich heraus. »Sie haben gesagt, es ist, als würde man einen Abszeß aufschneiden. Wieso fühle ich mich dann so gräßlich? Nicht nur anderen gegenüber, sondern vor allem mir gegenüber. Ich finde mich selbst schrecklich.«
    Alex reichte mir ein Papiertaschentuch.
    »Einen Abszeß aufzuschneiden ist schmerzhaft und bringt immer Probleme mit sich. In einem sehr verletzlichen Stadium Ihres Lebens, beim Übergang von der Kindheit zum Erwachsensein, haben Sie etwas so Abscheuliches mit angesehen, daß Ihr Bewußtsein das Ereignis einfach zensiert hat. Sie dürfen nicht erwarten, daß alles sofort wieder in Ordnung ist. Wissen tut weh; das eigene Leben in die Hand zu nehmen ist schwer, der Heilungsprozeß braucht seine Zeit. Aber Sie

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