Der Glaspavillon
zu machen.«
»Außerdem fällt mir auf, daß Vertreter einer bestimmten Berufsgruppe fehlen«, fügte Dr. Scott hinzu.
»So?«
»Unter den Teilnehmern befindet sich kein einziger Neurologe. Es wäre doch interessant, etwas über die Funktionsweise des Gedächtnisses zu erfahren.«
Alex seufzte ärgerlich. »Wir wissen nichts über den genauen Ablauf der Tumorentwicklung. Trotzdem wissen wir, daß Zigarettenrauchen das Krebsrisiko erhöht. Mich beeindruckt die derzeitige neurologische Forschung, Thelma, und ich teile Ihre Sorge. Ich wünschte, wir hätten ein wissenschaftliches Modell, das uns über die Funktionen und Störungen des Gedächtnisses Aufschluß gibt, aber unser begrenztes Wissen über die Funktionsweise des Gehirns wird mich nicht daran hindern, meinen Beruf auszuüben und Patienten zu helfen. Gibt es sonst noch Fragen?«
Als die Diskussion versiegte, stellte Alex noch Dr. Hennessey vor, einen großen schlanken Mann mit blondgelockten, langen Haaren, Nickelbrille und einem dicken Papierstapel unter dem Arm. Dann verließ Alex das Podium und kam auf Zehenspitzen zu mir nach hinten.
Unterwegs nickte er wieder dem einen oder anderen Zuhörer zu. Ich empfing ihn mit einem Lächeln.
»Sie haben offenbar nicht alle Zuhörer überzeugt?«
Er verzog das Gesicht. »Vergessen Sie Dr.
Scott«,
murmelte er. »Galilei ist damals vermutlich von Leuten wie Dr. Scott verfolgt worden, allerdings mit dem kleinen Unterschied, daß sie Folterinstrumente bei sich trugen. Es ist reiner Aberglaube, daß Menschen sich von vernünftigen Argumenten überzeugen lassen. Jemand hat mal gesagt, neue wissenschaftliche Erkenntnisse könnten sich nur auf eine Art durchsetzen: Alle Wissenschaftler, die an der veralteten Idee festhalten, müssen erst das Zeitliche segnen. Kommen Sie, gehen wir. Ich möchte Ihnen noch jemanden vorstellen.«
Als wir uns leise hinausschlichen, winkte er einer Frau, die an der Wand lehnte, und sie folgte uns. Der Vorraum war menschenleer.
»Ich möchte zwei meiner Starklientinnen miteinander bekannt machen«, sagte Alex. »Jane, das ist Melanie Foster, Melanie, das ist Jane Martello. Weshalb geht ihr beide nicht nach nebenan und schnappt euch was zu essen, bevor die Meute eingelassen wird?«
Melanie wirkte in ihrem grauen Flanellkostüm so elegant, daß ich mir richtig schäbig vorkam. Sie war höchstens fünf Jahre älter als ich, aber ihr Gesicht war voller kleiner Fältchen. Das graue, dicke Haar war kurz geschnitten. Sie trug eine runde Brille und lächelte etwas unsicher. Ich fand sie sofort sympathisch. Wir sahen einander an, nickten und steuerten auf das Essen zu.
Ein Büffet war aufgebaut. Die Kellner standen in Grüppchen beisammen und warteten auf den Ansturm der Gäste. Ich wollte mir gerade ein wenig Käse und Brot nehmen, als Melanie einen großen Löffel Pasta mit würziger Soße auf meinen Teller lud. Ich kicherte und protestierte nicht.
»Sie sehen so dünn aus«, sagte sie. »Hier.« Neben die Nudeln häufte sie Tomatensalat und grüne Bohnen, bis ich mit gespieltem Entsetzen »Halt!« schrie. »Sie können mich doch nicht allein essen lassen«, meinte Melanie.
Wir trugen unsere Tabletts zu einem Tisch in der Ecke, wo wir nicht zu fürchten brauchten, Gesellschaft zu bekommen. Jetzt war wohl die Reihe an mir, etwas zu sagen.
»Ich sollte wahrscheinlich fragen, woher Sie Alex kennen«, begann ich.
»Ja«, antwortete Melanie in einem sicheren Lehrerin-nenton.
»Aber um es vorwegzunehmen, ich weiß, woher Sie ihn kennen.«
»Wirklich?« fragte ich entsetzt. »Aber sollte das nicht eigentlich geheim sein?«
»Ja, da haben Sie natürlich recht«, räumte sie ein. »Aber Ihr Fall wird mittlerweile schon in der Öffentlichkeit breitgetreten, stimmt’s?«
»Ja, schon, aber trotzdem …«
»Meine liebe Jane, ich bin hier, um Ihnen zu helfen, und Sie können mir glauben, Sie werden Hilfe benötigen.«
»Weshalb gerade Sie, Melanie?«
Als Melanie antwortete, verschluckte sie sich an einem Bissen Sandwich. Ich klopfte ihr auf den Rücken.
»Vielen Dank, jetzt geht’s wieder«, meinte sie nach einiger Zeit. »Ich habe meine Therapie bei Dr. Dermot-Brown vor zehn Jahren begonnen. Ich hatte Depressionen, und meine Ehe lief schlecht. Außerdem kam ich mit meinem Job nicht zurecht. Sie wissen ja, die normalen Probleme einer berufstätigen Frau.«
Ich lächelte verständnisvoll.
»Mehrere Jahre lang sprach ich über meine frühe Kindheit, aber es änderte sich nichts. Eines
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