Der Glaspavillon
ich nicht, Alex. Früher mußte ich mal für ein Schulfest der Jungen einen Flohmarkt organi-sieren. Danach habe ich mir geschworen, mich nie mehr für so etwas zu engagieren. Menschenmengen sind nicht meine Stärke.«
Wieder schwiegen wir lange. Aber mir lagen zwei Fragen auf dem Herzen.
»Alex«, begann ich schließlich. »Sie sind Spezialist auf diesem Gebiet, und ich hatte tatsächlich eine Erinnerung, die darauf wartete, aufgedeckt zu werden. Ist das nicht seltsam?«
»Nein, Jane, das ist es nicht. Entsinnen Sie sich nicht an unser erstes Gespräch? Ich glaubte, ich könnte nichts für Sie tun. Sie sagten, es gäbe ein schwarzes Loch mitten in Ihrer goldenen Kindheit. Das hat mein Interesse geweckt.
Ich suchte nach einer verschütteten Erinnerung, weil ich felsenfest davon überzeugt war, daß es eine gab.«
»Und Sie können sich nicht vorstellen, daß Sie sich vielleicht getäuscht haben?«
»Sie haben doch das wiedergefunden, was verschüttet war, oder nicht?«
»Ja, aber ich wünschte, ich könnte mich darüber freuen.«
»Denken Sie an das, was Melanie gesagt hat. Es ist nur natürlich, daß eine wiedergewonnene Erinnerung Schuldgefühle weckt. Vorher schien das Leben einfacher zu sein, nicht wahr? Aber schließlich haben nicht Sie Natalie umgebracht.«
»Alex, Sie haben das doch nicht etwa einem Journalisten erzählt?«
Unvermittelt riß Alex das Lenkrad herum und hielt an.
Jemand hupte und schrie etwas.
»Jane, ich bin Ihr Arzt. Wie können Sie so etwas von mir glauben!«
»Auf der Konferenz war mein Fall nicht gerade ein Geheimnis.«
»Die Menschen dort haben alle viel durchgemacht.
Diese Leute können Ihnen helfen und umgekehrt. Jane, Sie sind stark und intelligent, Sie haben überlebt. Sie könnten viel Gutes bewirken.«
»Aber das geht alles viel zu schnell, Alex. Ich kann keine Verantwortung für andere übernehmen. Es fällt mir schon schwer genug, die Verantwortung für mich selbst zu tragen.«
»Sie sind stärker, als Sie denken. Wenn Sie wollten, könnten Sie zu einer bedeutenden Sache beitragen. Vielleicht sollten Sie mal daran denken, ein Buch zu schreiben über das, was Sie erlebt haben, auch wenn es nur einem therapeutischen Zweck dient. Nein, sagen Sie nichts, behalten Sie es nur im Kopf. Wenn Sie Hilfe brauchen, könnten wir es auch gemeinsam versuchen.«
Ich schüttelte den Kopf. Ich war völlig erschöpft.
33. KAPITEL
Unter allen Darstellern, die in diesem schrecklichen Drama mitwirkten, kam Claud zweifellos die Rolle des Helden zu. Monatelang – nein, jahrelang, um ehrlich zu sein – war er ein fester Bestandteil meines Lebens, bis ich beschloß, ihn daraus zu verbannen. Aber jetzt war mir ein Leben ohne ihn kaum vorstellbar, obwohl ich es vermied, allzu häufig mit ihm zusammen zu sein oder mich bei unseren Begegnungen zu stark auf ihn einzulassen. Kim wurde nicht müde, mich zu warnen.
»Sei nett zu ihm«, riet sie mir. »Aber überleg dir gut, wohin deine Freundlichkeit unter den gegebenen Umständen führen kann.«
Es gab Tage, da wollte ich ihn zurückhaben und konnte mir einfach nicht erklären, weshalb ich ihn überhaupt verlassen hatte. Dann hantierte ich in der Küche mit meinen Kochtöpfen herum, buddelte im Garten, trank Gin und be-mühte mich, das flaue Panikgefühl im Magen zu ignorieren.
Claud war natürlich sehr bald über die Sache mit Alan informiert worden, was aber weder sein Entsetzen milderte noch den Schmerz linderte. Als erstes übernahm er, der Erstgeborene, die Rolle des Familienoberhaupts. Benommen und bewundernd beobachtete ich, wie er sich den Journalisten stellte, Briefe verfaßte und Mutters Habselig-keiten ordnete. Er vermittelte den Eindruck, als kümmere er sich Tag und Nacht um das Wohl seiner Mitmenschen.
Er wirkte plötzlich jünger. Die tiefen Falten um seinen Mund, die seinem Gesicht den Ausdruck eines traurigen Mannes mittleren Alters verliehen, verschwanden, und seine Augen bekamen einen ungewohnten Glanz. Während jeder um ihn herum zu zerbrechen drohte, erschien er unerschütterlich. Er wirkte ausgeglichen wie seit Jahren nicht mehr und war voller Tatendrang. Vielleicht waren das ja die Vorzeichen eines Nervenzusammenbruchs.
Er machte mir Vorwürfe. Ich hatte das Gefühl, als entgehe ihm keine meiner Bemerkungen und Gesten, als achte er stets darauf, nichts zu sagen, was mich verletzen könnte. Seine Freundlichkeit war unerträglich und erinnerte mich an unsere ersten Rendezvous, als er mir stets die Tür aufhielt, mir
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