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Der Glaspavillon

Titel: Der Glaspavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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auf einen der beigelegten Witzzettel, und ich mußte daran denken, wie Kim – in einem knallgelben Kleid – und Erica – in Feuerrot – über all die Kalauer gekichert hatten. Eigentlich den ganzen Abend –
    unerwartete Verbündete, zwei verrückte Tussis in absurden Flitterfähnchen. Über die üblichen Knallbonbon-witze wollten sie sich ausschütten, aber auch über Andreas, der alles andere als begeistert war von Erica und dieser ihm noch unbekannten Kim. Sie lachten über Pauls feierlichen Regisseurernst und über die Kameras. Sie hatten sich rechts und links von Dad niedergelassen (der auf Zeitlupe umzuschalten schien, während alle anderen immer aufgedrehter wurden) und so unerhört mit ihm geflirtet, daß er sie trotz allem anlächelte, wehrlos gegen ihr kindisches Getue.
    Ich drückte die Zigarette aus und trug die Gläser in die Küche. Dann spülte ich das Besteck und ließ klares Wasser darüberlaufen. Wie wundervoll diese Stille war.
    Es war ziemlich laut zugegangen: Paul hatte Erica angeschrien (»Versuchst du etwa, meinen Film zu ruinieren?«), Andreas hatte Kim angebrüllt (»Du hast wirklich genug getrunken!«), Kim hatte zurückgekeift (»Verpiß dich, alter Blödmann, es ist Weihnachten und ich hab keinen Bereitschaftsdienst!«), Jerry war auf Robert losgegangen (»Wenn du Hana nicht höflich behandeln kannst, dann hau ab!«), Robert hatte mich angeschrien (»Willst du immer noch alle zu einer glücklichen Familie machen?«). Dad war nicht laut geworden, genaugenom-men hatte er fast gar nichts gesagt. Zwar hatte auch Claud sich beherrscht, er war mir jedoch in die Küche gefolgt und hatte mich dort angezischt: »Wer ist dieser Caspar, Jane?«
    Die Teller waren fertig und standen glänzend weiß in Reih und Glied. Ich hob ein Tablett mit verschiedenen Gegenständen hoch (Streichhölzer, Schlüsselbund, Büroklammer, Stift, Fingerhut, Brieföffner, Ohrring, Ansteck-blume, Schraubenzieher, schwarzer Bauer vom Schach-spiel) und zuckte bei der Erinnerung innerlich zusammen.
    O Gott, wir hatten tatsächlich das Gedächtnisspiel gespielt. Natürlich hatte Claud es organisiert und den halbbeschwipsten Gästen die Regeln erklärt (»Merkt euch, was auf dem Tablett ist, dann decke ich alles zu, und ihr müßt alles aufschreiben, woran ihr euch erinnert. Wenn ihr fertig seid, nehme ich das Tuch weg, dann sehen wir mal, wer das beste Gedächtnis hat«). Als Kinder hatten wir dieses Spiel oft gespielt. Einer der Gegenstände auf dem Tablett war ein uraltes Foto von Claud, mir und den Jungs gewesen (Wer hatte es gemacht? Ich wußte es nicht mehr), auf dem wir uns anlächelten und uns festhielten.
    Schlagartig schienen alle nüchtern zu werden. Das war der Moment gewesen, als Jerry den Stuhl umgeschmissen hatte.
    Ich füllte mir Portwein in ein dickes kleines Glas und steckte mir eine letzte Zigarette an. Der Rest der Unordnung mußte bis morgen warten. Dann zog ich meine Schuhe aus und nahm die Ohrringe ab. Ich gähnte und mußte plötzlich kichern, weil mir Kim und Erica einfielen.
    In diesem Moment klingelte das Telefon.
    »Hallo!« Wer rief denn um diese nachtschlafende Zeit an?
    »Mum.« Es war Jerry, und er klang immer noch wütend.
    »Tu so was nie wieder.«
    »Willst du damit sagen, du hast dich nicht amüsiert? Wie schade – ich hatte schon geplant, daß wir uns alle zu Silvester wieder treffen.«

    »Genau, das habe ich gebraucht.«
    Ich lag in einem dicken Frotteebademantel am grünen Wasser, umgeben von Palmen und dichtem Gebüsch. Wir tranken Mangosaft, und ich fühlte mich so entspannt wir schon seit ewigen Zeitennicht mehr. Meine Muskeln hatten sich entkrampft, meine Knochen waren geschmei-dig, meine Haut war glatt und weich, grünes Licht tanzte vor meinen Augen. Die Wintersonne, die durch die großen Fenster hereinfiel, liebkoste meine nackten Beine. Der Raum war erfüllt vom Echo weiblicher Stimmen, wie in einem Harem. Ich spürte meinen Herzschlag, gleichmäßig und beruhigend. Bald würde ich ein paar Runden schwimmen und danach zur Massage gehen. Dann würde ich mich wieder hinlegen, in den Frauenzeitschriften blättern und die Anzeigen für Sonnencreme und Lippenstift studieren.
    Am Abend zuvor hatte Kim angerufen. Sie hatte zwei Tageskarten für The Nunnery gekauft, ein Fitneßcenter nur für Frauen, und sie fragte mich nicht, ob ich mitkommen wollte, sie bestand einfach darauf. Zwar protestierte ich schwach, aber beim Klang von Kims sachlicher, vertrauter Stimme füllten sich meine

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