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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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weil ich auf den einen wartete, ohne zu wissen, woran ich ihn erkennen sollte. Das ferne Brausen der Stadt schwoll ab wie der Puls eines Kranken, es ging auf den Sonntag zu.
    Die beiden, die hinter uns her waren, hatten uns eingeholt.
    Â»Wie fandet ihr die Vorstellung?«, fragte der Brillenträger. Er trug ein kariertes Hemd über der Hose, das farblose schüttere Haar umrahmte eine Glatze. Er wurde aufdringlich und legte Domnica die Hand auf die Schulter, als wollte er ihr über die Straße helfen.
    Â»Ich muss mit meiner Freundin hinauf«, hörte ich, wie sie ihn abblitzen ließ.
    Als ich mich umwandte, machte sie mir Zeichen, dass wir die irgendwie loswerden mussten. Ich war sicher, dass auch er es gemerkt hatte, aber er tat so, als wäre ihm nichts aufgefallen.
    Â»Das gibt’s doch nicht, Samstag Abend um diese Zeit, kommt doch, gehen wir noch irgendwo hin«, beharrte er. Er versuchte weiterhin, ihren Arm zu nehmen, doch sie riss sich immer wieder los und sah sich verstört um.
    Â»Wonach suchst du denn?«, fragte ich sie.
    Â»Nach dem Wohnheim«, antwortete sie leise, und nur ich verstand ihren trüben Blick. Den hatte ich manchmal selbst, wenn ich in Gedanken eine Straße übersehen hatte, denn die Stadt war noch so neu, dass sie sich mir plötzlich spiegelbildlich verkehrte, links und rechts vertauscht waren und die Gebäude einem seitenverkehrt erschienen.
    Â»Das ist auf der anderen Seite, meine Liebe«, raunte ihr der Mann zu, und in seiner fürsorglichen Stimme vernahm ich den Hohn, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte.
    Wutentbrannt grub ich meine Fingernägel in den Griff der Handtasche. Ich ging neben dem anderen und blieb hin und wieder stehen, um Domnica zuzuwinken.
    Â»Sie wohnen im Heim?« So verschattet erschien seine Nase klein über dem ausladenden Unterkiefer.
    Â»Ja«, zischte ich.
    Wie oft hatte es diesen Abend schon gegeben, wie oft hatte ich schon gehört: »Sie wohnen im Heim?«, und dabei den hintergründigen Blick bemerkt.
    Wie oft hatte ich gespürt, wie ich mich unter ihnen verlor, wenn wir im Rudel hinunter zum Essen gingen, wenn wir zum Tanzen aufbrachen oder vom Tanz zurückkehrten, alle in den gleichen kurzen Röcken, die wir immer weiter kürzten, alle mit den gleichen Frisuren, die wir voneinander abschauten, mit den gleichen Scherzen, mit denen wir uns in unserer eigenen Welt verkapselten? Irgendwo gab es da einen unsichtbaren Kreis, und ich schaffte es nicht, auszubrechen und zu der zu werden, die ich war, als solche sichtbar für jenen Blick, der mich erkennen würde. Vielmehr zuckte ich zusammen bei der Frage: »Sie wohnen im Heim?«
    Ich zuckte zusammen, wenn ich an den Männern an der Treppe vorüberging und aufschnappte, wie sie sagten: »Ich hab eine Kleine aus dem Heim aufgerissen und abgeschleppt …«
    Ging es nur mir so? Das Unvorhersehbare bestand stets in ein paar Spaziergängen, einem Kinobesuch und einem Zimmer mit Musik, wo jemand mich bedrängte – was sich nach und nach zu einer Besessenheit auswuchs jenseits der theoretischen Frage: Soll ich es jetzt riskieren? Soll ich »es« tun? Lohnt es sich, lohnt es sich nicht, wie lange will ich noch warten?
    Hinter mir hörte ich den mit der Brille, wie er mit Domnica Konversation machte: »Ich habe ihn schon einmal am Bulandra-Theater gesehen, aber damals waren Sie wohl noch nicht Studentin, da waren Sie noch in der Provinz … Auch ich war in Turnu Severin, ich hatte einen Kommilitonen, den Manu Dumitru …«
    Beide waren wir verkrampft, stolperten mit den spitzen Schuhen über den Asphalt und machten uns immer verzweifelter Zeichen. Doch sie wussten genau, weshalb wir dann und wann stehen blieben, und wandten sich ab, als sähen sie nichts. Das falsche Lachen, mit dem sie den Arm um uns legten und uns weiter schubsten, sollte das denn immer so sein, immer die gleichen Samstage, dieselben alleinstehenden Männer, die einen immer in die gleichen Restaurants, in dieselben Räume mit Musik zu drängen versuchen? Eine lächerliche Jagd, wer jagte wen?
    Â»Ich bin spät dran«, stieß ich plötzlich hervor. »Auf Wiedersehen …« Noch bevor ich eigentlich wusste, was ich tat, rannte ich los auf der finsteren Straße.
    Hinter mir hörte ich noch, wie Domnica erschrocken aufschrie, und die Beteuerungen der anderen. »Wir bringen dich schon nach Hause, du

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