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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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hatte Domnica, die ihre Cousine besuchte oder ins Theater ging, um ihre Ruhe beneidet. Sie hatte einen Freund, der war Student in Klausenburg, sie schrieben sich oft und sahen sich selten, nie ging sie samstags tanzen, sondern saß stundenlang am Fenster und sah hinunter auf den Boulevard.
    Â»Komm doch mit, und wir versuchen, noch Karten zu kriegen für irgendein Stück«, forderte sie mich auf, und ich begann mich anzuziehen wie sie, ohne Eile.
    Auf der Straße welkte der Tag im allgegenwärtigen Gedränge dahin, an den Ampeln standen Autos Schlange, deren Insassen aus Bukarest hinaus wollten. Vor dem Theater türmte sich ein Haufen Schutt von dem abgerissenen Gebäude gegenüber, die Luft war weiß von Mörtelstaub. Von einem Erdhügel aus hielt ein Arbeiter den Wasserschlauch drauf. Aus den auf freier Strecke haltenden Straßenbahnen kletterten Leute, verärgert und unschlüssig, die einen überquerten schimpfend den Boulevard, um einen Trolleybus zu kriegen, die anderen gesellten sich zu der Menge der Schaulustigen. Da lag ein Moped mit verbogenem Lenker, rundum Scherben und ein schwarzer Fleck, der sich immer weiter ausdehnte, vom Bürgersteig aus sah es nach Blut aus, aber es war nur Öl. Unter all den kleinen Gruppen tauchte immer mal wieder einer auf, der fragte: »Was ist los? Ist jemand gestorben?«
    Da niemand antwortete, weil niemand etwas gesehen hatte, ging er zur nächsten Gruppe und fragte dasselbe, und irgendwann bekam er zufällig zu hören: »Sie haben ihn mit dem Notarztwagen weggebracht …«
    Der dunkelhäutige Fahrer war auf dem Bordstein in sich zusammengesunken, das Hemd über der schmalen Brust offen, die Arme auf den Knien tastend ausgestreckt. Eine Frau mit grell geschminktem welkem Gesicht strich ihm über die Schulter, die sich unter dem verwaschenen Hemd abzeichnete, jemand reichte ihm eine Blechkanne mit frischem Wasser.
    Â»Ein Junge auf dem Fahrrad hat alles gesehen, der andere hatte Grün, der Junge wäre ein guter Zeuge.«
    Der Fahrer schien nichts zu hören, unter dem Hemd sah man sein Schlüsselbein und die Haut, die darüber zuckte. Der Blick der rot unterlaufenen braunen Augen huschte über die Gesichter rundum. Ein hilfloser Blick, der wohl aus der Kindheit herrührte und in dem die Furcht vor der Strafe flackerte, die unbestimmte Empfindung, dass ihm etwas Schlimmes passiert war, schlimmer als alles, was er jemals befürchtet hatte. Er faltete die großen schwieligen Hände über den knochigen Knien, die ebenfalls zuckten.
    Â»Er wartet, dass die Miliz ihn holt …«, raunte hinter mir eine Hausfrau mit einem von Spinat und Salat überquellenden Netz.
    Drei Bengel, die durch die Menge hetzten, rammten mich mit ihren Ellbogen. »Unfall, Unfall«, brüllten sie vor Lachen.
    Â»Was glotzt du so?«, schimpfte Domnica leise und zog mich an der Hand zur Theaterkasse.
    *
    Wir kamen aus dem mit Stille gepolsterten Saal. Die Sessel waren lautlos gegen die Lehnen zurückgeschnappt, und wir gingen an dem geschlossenen Büfett vorbei, wo auf der Marmortheke noch die feuchten Ringe von den Gläsern mit Zitronenlimonade und in den Vitrinen die kleinen Riegel mit Rum- oder Milchschokolade zu sehen waren. Hinter uns ließ sich der pflichtschuldige Beifall vernehmen, der die Schauspieler an die Rampe rief, in nächster Nähe aber die Schritte der beiden Männer, die versuchten, mit uns ins Gespräch zu kommen.
    Die Nacht wuchs mit den Schatten der Blätter an den Bäumen. Schwer hingen sie herab, die unsichtbaren Äste bogen sich unter der Last, sie reckten sich über die Zäune auf die Straße, blind und irgendwie bedrohlich. Doch die Leute sahen nichts als unbestimmte grüne Flecken, über die sie im Vorbeigehen ihre Blicke schweifen ließen, ebenso wenig ahnten sie von den hölzernen Fangarmen der Wurzeln unter dem Asphalt. Immer öder lagen die Straßen im bläulich schimmernden Weiß der Neonlichts, Stühle standen in den Türen der Lokale, die geschlossen hatten, während die Kellner sich noch immer um die leeren Tische zu schaffen machten. An den Haltestellen oder Straßenecken standen einsame Männer, ihre Standardsprüche und ihre lauernden Körper, bereit, uns zu folgen, waren allgegenwärtig. Unsere schwarzglänzenden Schatten glitten vor uns her. So viele einsame Männer, denen ich begegnete und die ich mied,

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