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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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Handtasche freigehalten hatte. »Er stand vor der Konditorei, ich weiß nicht, ob er begriffen hat, er ist bleich geworden, hat aber nichts gefragt, er hat sich den Zettel gar nicht angesehen, hat ihn eingesteckt und ist sofort gegangen, er hat die Straßenbahn genommen …«
    Das heißt, er hat es schon lange begriffen und darauf gewartet, sagte ich mir. Die Makkaroni waren zerkocht, ich schob auch sie beiseite und stützte meinen Kopf in die Hände.
    Â»Weißt du, er hat mir sehr leidgetan«, sagte Domnica mit vollem Mund.
    Â»Mir tut das auch leid«, flüsterte ich. Es tat mir wirklich leid, aber anders, als ich sie wissen ließ. Sie mochte denken, dass es mir um ihn leidtat, aber ich spürte wieder die Leere um mich und die Furcht. Nach all der Zeit, in der ich mich lustlos mit ihm getroffen und mir dabei vorgeworfen hatte, dass ich meine Zeit vertrödelte, gestand ich mir erst jetzt ein, dass er mir dennoch nahestand und dies mir eine gewisse Sicherheit gab. Im ersten Augenblick war ich drauf und dran, zu seinem Wohnheim zu rennen, ihn rufen zu lassen und ihm zu sagen, dass es dumm von mir war. Ich war sicher, er würde es noch annehmen, hatte er doch unbeholfen versucht, etwas von der jahrelangen Trennung zu reparieren, wie er selbst sagte. Das aber hätte geheißen, dass dieser Abend genauso ablaufen würde wie all die anderen. Nein, nur das nicht, sagte ich mir, stand vom Tisch auf und nahm Domnicas Arm.
    Draußen stank es nach verbranntem Gummi oder nach Abdeckerei, der Gestank überlagerte den Duft frischen Grüns, obwohl sich über uns ein dichtes Dach von gerade erst entfalteten, noch nicht ausgewachsenen Blättern wölbte. Je mehr wir uns über die Allee dem Heim näherten, desto lebendiger wehte der bittere Geruch der regennassen Pappeln heran. Unter unseren Sohlen knirschten die ersten dürren Blätter. Der Himmel war wolkenverhangen, grau wie Stein, das Abendlicht gilbte dahin und gewann eine merkwürdige Materialität. Ich sah es sich verdunkeln wie gedämpftes Bühnenlicht. Plötzlich wurde mir schwindlig, die Umrisse der Straße verschoben sich, die Häuser traten näher, und die Menschen weiter weg bewegten sich ruckartig. So veränderte sich, nur weil es Abend wurde, die Welt um mich, wie sich auch das Licht veränderte, das ölig und diffus in der Luft schwamm.
    Â»Was ist los mit dir – denkst du immer noch daran?«, fragte Domnica und drückte meine Hand.
    Merkwürdigerweise taten lediglich die Jahre weh, die vergangen waren, als seien es nur sie, von denen ich mich jetzt trennte. Kurz schien ein starres Bild jenes Nachmittags auf, bevor er mir sagte: »Schau mal, so geht es nicht weiter … Wärst du nicht, wie du bist, dann wäre auch ich anders …«
    Immenses Licht, in dem wir beide standen, die Aktentaschen in der Hand, auf dem Heimweg von der Schule. Ich sah mich, als sähe mich jemand anders, als wäre das nicht ich selbst, die sich daran erinnerte. Ich beugte mich über den kleinen, engen und tiefen Brunnen, aus dem mir die Frische entgegenschlug, und suchte dort unten nach meinen hageren Schultern, die sich unter dem ausgebleichten Stoff der allzu langen Uniform abzeichneten, und nach dem Kopf mit den kurz gestutzten Haaren, die wirr nach allen Seiten standen, seit ich mir beim Verlassen des Klassenzimmers das weiße Haarband heruntergerissen hatte. Nur einen Augenblick lang nahm ich ihn wahr und sah dann, wie die Züge in dem verschatteten Wasser schwankten, weil ein rotgerändertes Blatt hineingefallen war. Vom Kloster im Crâng kam das Hämmern des Läutbretts, zwischen den gepflegten Tomaten-, Raps- und Zwiebelbeeten duftete es nach Wildminze, die ich mitsamt den behaarten Blättern der Klette unter meinen Sandalen zertreten hatte. Die Zeit empfand ich als schmerzlichen Stich, damals war alles, was ich berührte, plötzlich wieder neu gewesen, selbst der Abschied von Mihai, dem ich verschreckt und neugierig entgegensah. Mein damals noch kindlich verschwommenes Gesicht verweilte zwischen den moosbewachsenen Brunnenwänden. Vielleicht war es immer noch dort aufgehoben, mit in dem gekräuselten Wasserspiegel schwankenden Zügen.
    *
    Wieso erschien mir das Leben all der anderen Mädchen immer viel lebendiger, unvorhersehbarer als das meine? Wie viele Samstage, an denen ich Mihai treffen sollte, war ich doch missmutig weggegangen und

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