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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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ihn zu warten, was ohne ihn nicht erledigt werden konnte; ich hatte vergessen, dass er sich wenige Augenblicke zuvor darüber beklagt hatte, und nickte jetzt ergeben. »Aber ich habe vollstes Vertrauen«, setzte er gleich hinzu und versuchte seiner Stimme einen weicheren Klang zu geben. »Ich weiß, dass Sie eine fleißige Studentin sind, ich werde Ihnen zeigen, worauf Sie achten müssen. Sie werden auch andere Bibliotheken aufsuchen, an der Fakultät ist nicht alles zu finden. Wenn Sie etwas für längere Zeit benötigen, sagen Sie’s mir, wenn ich es habe, leihe ich es Ihnen für ein paar Tage …«
    Die alte Gewissheit, beschützt zu werden, die ich seit Onkel Ions Tod verloren hatte, kam wieder in mir auf. Wie schwer mir doch zumute war, seit ich nicht mehr mit ihm über die Bücher sprechen konnte, die ich las, seit er mir nicht mehr kategorisch und doch sanft sagte, was ich weiter zu tun hatte.
    Â»Haben Sie meine Telefonnummer? Notieren Sie«, sagte Petru Arcan und sah mich lang an. »Gegen Abend bin ich immer zu Hause.«
    Meine Hand zitterte leicht, als ich den Bleistift vom Tisch nahm. Sein mir unbekanntes Leben rückte näher an mich heran, mit einem freudigen Schauer wunderte ich mich, dass es mir so offen stand.
    Â»Schauen wir mal, was von dem hier Sie gebrauchen könnten«, sagte er und zog ein großformatiges Verzeichnis aus dem Regal hinter sich. Er fuhr mit dem Finger die Liste der Titel hinunter, wobei er bei dem einen oder anderen innehielt. Ich schrieb ihn dann auf das Blatt, auf dem die sechs Wunderziffern obenan standen, über die ich von nun an jederzeit, sobald ich ihn brauchte, an ihn herankam. So verging eine halbe Stunde, vielleicht waren es auch nur ein paar Minuten, da läutete das Telefon.
    Â»Ich grüße Sie«, sagte er mit einem halben Lächeln in den Hörer. »Natürlich, ich stehe zur Verfügung … Aber klar!«
    Ich reckte meine Beine, die ganz steif waren, unter dem Tisch und unterdrückte ein Gähnen. Das rote Auge des Telefons blinzelte weiter, und die Stimme von Petru Arcan klang anders als bisher. Ohne dass ich mitbekam, was er sagte, wurde mir klar, dass seine höflichen, zuvorkommenden Scherze Respektbezeugungen waren. Langsam erhob ich mich, ging ans Fenster und betrachtete die Rondelle mit den starren Blumen unten, die der offiziösen Anmutung des Gebäudes entsprungen schienen.
    Â»Entschuldigen Sie bitte«, sagte er, nachdem er den Hörer aufgelegt hatte, und erhob sich mit einer Eile anderer Art; er öffnete die Aktentasche und ordnete seine Papiere. »Wir machen ein andermal weiter, wenn Sie möchten, in ein paar Tagen … Ich muss jetzt gleich los, es geht um die Buchreihe … Wenn Sie ins Zentrum wollen, kann ich Sie ein Stück mitnehmen.«
    Jetzt kamen mir die dunklen Gänge, in die Stimmen und Telefonläuten sickerten, altbekannt vor. Verwaschen zeichneten sich unsere Gestalten in dem durchscheinenden Glas am Ende des Korridors ab. Petru Arcan ging mit den großen Schritten eines hochgewachsenen Mannes, während ich nebenher trippelte, ständig in Gefahr, den Anschluss zu verlieren.
    Â»Wo soll ich Sie absetzen?«, fragte er und lehnte sich bequem zurück.
    Â»Vor der Fakultät«, sagte ich schnell und schrak zusammen bei dem Gedanken, er könnte gerade dadurch auf den Riesenabstand zwischen meinem unbedeutenden Leben und dem seinen gestoßen werden.
    Â»Haben Sie Vorlesungen? Sind Sie etwa spät dran?«, fragte er mit einem Blick auf die Uhr.
    Â»Heute habe ich keine Vorlesungen«, antwortete ich, obwohl ich der Frage am liebsten ausgewichen wäre.
    Â»Was dann?« Er zog eine Augenbraue hoch, dann schwieg er und wartete.
    Â»Ich gehe in die Bibliothek …«
    Â»Ach so, tüchtig, tüchtig«, sagte er ironisch und ermunternd. »Aber in welcher Gegend der Stadt wohnen Sie denn?«
    Ich griff nach dem Deckel des Aschenbechers in der Tür und stammelte, während ich mich daran festklammerte, beschämt: »Im Heim, am Boulevard …«
    Mir war plötzlich sehr heiß, aber ich rührte mich nicht. Jetzt würde ich alles verlieren, was ich gewonnen hatte, ich hatte noch nicht einmal die Kraft, mich an dieser ersten und wahrscheinlich letzten Gelegenheit zu freuen, die Stadt hinter der vor Machtfülle strahlenden Scheibe eines Dienstwagens zu durchqueren.
    Â»Können Sie

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