Der gleiche Weg an jedem Tag
Techniker, und gleich in den ersten Wochen, als wir uns noch gar nicht richtig kannten, war sie aufgrund vorher abgesprochener Vorschläge ins Leitungsbüro des Kommunistischen Jugendverbandes unseres Jahrgangs gewählt worden.
»Ach, nichts ⦠Er wollte hören, ob ich noch etwas hinzuzufügen hätte â¦Â«
»Vielleicht wegen deines Vaters â¦Â«, sagte sie mit einer Stimme, die ich, wie mir schien, noch nie gehört hatte.
Für den Augenblick war ich mir sicher, dass sie mehr über mich wusste als ich selbst. Doch dann versuchte ich mich selbst zu beruhigen, schlieÃlich hatte ich ja den Mädchen auf dem Zimmer erzählt, dass Vater zu Mutter zurückgekehrt war, nach jahrelanger Trennung. Zwar war sie damals nicht dabei gewesen, sie war Delegierte der Vollversammlung, den anderen aber war alles merkwürdig erschienen, merkwürdiger sogar als der Tod meines Onkels. Ein paar Tage lang verhielten sie sich anders als sonst, beobachteten mich mit verstohlener Neugier, wenn ich ins Zimmer trat. An ihren verlegenen Blicken merkte ich, dass sie über mich geredet hatten, und wenn ich von zu Hause kam, verkniffen sie sich allzu direkte Fragen.
Jedenfalls schien es mir nicht ratsam, sie danach zu fragen, aber auch sie sagte nichts mehr; sie wühlte in der Handtasche nach dem Kantinenbon und fragte: »Kommst du zum Essen?«
Die Luft des Nachmittags schwirrte vom Flaum der Pappeln, er wirbelte wie Schnee über dem runden blauen Oberlicht und landete dann doch langsam auf dem Asphalt, wo er sich in den staubigen Rissen verfing. Ein paar Flocken blieben in unseren Wimpern und Haaren hängen, unter unseren FüÃen häuften sie sich wie Wattebäusche, ihr Weià verkümmerte zu schmutzigem Grau.
»Ich treffe mich mit Mihai«, antwortete ich, und plötzlich ging mir auf, dass ich ihn in letzter Zeit unerträglich fand.
Jedes Mal, wenn ich von ihm kam und die Stufen hinaufstieg, war ich ein Nervenbündel, weil ich nicht den Mut gehabt hatte, ihm zu sagen, dass wir uns trennen sollten. Statt es ihm zu sagen, schob ich das nächste Treffen möglichst weit hinaus in der Hoffnung, er käme von selbst drauf. Er aber sagte nichts als: »Ich vertraue dir« â und neigte seinen hochgewachsenen sportlichen Körper mit treuherzig stumpfem Blick zu mir herab. Ist das Vertrauen oder Gleichgültigkeit?, fragte ich mich und suchte nach einer Rechtfertigung. In seinem mürrischen Schweigen vermutete ich einen unausgesprochenen Vorwurf, ich wusste, dass er seit fast einem Jahr in mir diejenige suchte, die ihn jahrelang jeden Abend auf dem Korso erwartet hatte. Er wusste offenbar nicht, dass ich eine andere geworden war. Geblieben war mir nur die Vertrautheit mit seinem Lachen, mit der Art und Weise, wie er mich um die Schultern fasste oder in die Sonne blinzelte, deswegen lächelte ich, wenn ich ihn sah, und dann versanken wir wieder stundenlang in Schweigen, weil wir nicht wussten, was wir uns sagen sollten. Wieso hatte er so lange gebraucht, bis er zu mir zurückgekehrt war? Schon damals war es zu spät, als er mich nach Hause brachte und wir unter dem kahlen Maulbeerbaum stehen blieben, wo er mir sagte, wir sollten wieder Freunde sein, wieso aber hatte ich das damals noch angenommen?
Ich hatte es satt, mir dauernd zu sagen, dass er das alles mit sich herumtrug, es war sehr wirr und sehr weit weg, ich wusste nicht mehr, wer schuld war, nur mein Unvermögen, es ihm zu sagen, ärgerte mich.
»Hör mal, ich würde dich bitten, Mihai einen Zettel von mir zu bringen, ich schreibe ihn jetzt gleich, und du bringst ihn ihm, ja?«
Ich muss etwas anderes anfangen, ich muss es wenigstens versuchen, sagte ich mir und schob den Teller mit dem pampigen Eintopf weg. An den Tischen rundum machten es fast alle Mädchen genauso, es war Samstag, und keine wollte nach Zwiebeln stinken. Ich muss es wenigstens versuchen, sagte ich mir und ertappte mich plötzlich dabei, dass ich an Petru Arcan dachte. Ich erinnerte mich an seinen leichten, luftigen Händedruck, der kaum einer Berührung gleichkam.
War das etwa der Grund, weshalb ich mich von Mihai trennen wollte? Ich übersprang den Gedanken, mir schien, als wollte ich nur allein sein und mein Ding machen, wie Domnica.
*
»Was hast du mir da bloà aufgetragen?«, schnaufte sie. Sie war gerannt und hatte sich auf den Stuhl neben mir gesetzt, den ich ihr mit der
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