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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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mit dem sie damals schon verlobt war, ich merkte es an dem flachen, sternchenverzierten Ehering, den sie nicht mehr an der Rechten, sondern an der Linken trug.
    Â»Ein Lebemann – man glaubt es kaum, wenn man ihn so sieht. Ich kenne ihn von ein paar Feten«, sagte sie und setzte sich erneut. Es war das erste Mal, dass sie mir überhaupt Beachtung schenkte, wegen des Artikels vielleicht. Sie schlug die schlanken Beine übereinander, ihre Füße steckten in Schuhen mit abgerundeter Spitze und großer verchromter Schnalle, wie sie damals aufkamen.
    Â»Irgendwann ist er ein ganz anderer geworden – damals, als er sich von seiner Frau getrennt hat. Wie, das weißt du nicht? Er war verheiratet … Du musst sie hier gesehen haben, sie kommt schon mal vorbei, sie haben sich in gutem Einvernehmen getrennt … Er hat gelitten bis zum Gehtnichtmehr, das weiß ich vom Hörensagen, du kannst es dir ja vorstellen. Ich erinnere mich, dass er einmal sagte, wenn die Scheidung durch sei, werde er wieder um ihre Hand bitten … Das war natürlich nur Spaß, denn seither habe ich ihn mit vielen anderen gesehen, und traurig sah er nicht aus, im Gegenteil …«
    Ich spürte, dass mein dümmlich schiefes Lächeln erstarrt war. Ich klappte die Zeitschrift zu und legte die steife Hand darauf. Mir fiel das Foto ein, das ich zufällig gesehen hatte, und jener flüchtige Besuch im Beratungszimmer vor fast einem Jahr. Ich hätte alles drum gegeben, sofort verschwinden zu können, aber gleichzeitig zu bleiben und ihr weiter zuzuhören. Allerdings wagte ich nicht, sie etwas zu fragen, wagte noch nicht einmal, mich zu bewegen, die schmerzliche Demütigung stieg in meine aufgerissenen Augen. Ich verfolgte, wie sich ihre Schritte entfernten, nachdem sie gesagt hatte: »Wiedersehen – tschüss …«
    Dann hörte ich die Tür, und danach verging noch viel Zeit, bis ich endlich wagte, meinen Kopf in die feuchten Hände zu stützen. Mir schien, als hätte ich das, was sie mir gesagt hatte, immer schon gewusst, aber nicht wissen wollen. Ich fragte mich nur, wieso ich nie versucht hatte, etwas über ihn zu erfahren. Jeden neuen Anlauf hatte ich, schwankend zwischen Neugier und Furcht, mittendrin abgebrochen. War es Feigheit gewesen oder Rücksicht? Ich wusste es nicht zu sagen. Seit so vielen Monaten trug ich sein mir unbekanntes Leben mit mir herum, ich hatte es mühsam zusammengesetzt aus Worten, die bei ihm immer wieder vorkamen, aus zufällig auftauchenden Namen, deren Wiederkehr ich geduldig abwartete, aus den hohen Stimmen, die aus dem Telefonhörer quollen, aus seiner undurchsichtigen und exakten Zeitplanung, die ich nur erriet. Schon immer hatte ich einen luftleeren Raum zwischen seiner und meiner Welt vermutet, in dem ich leichtsinnigerweise hinaufzuklettern gedachte, ohne mir auch nur im entferntesten ausmalen zu können, wie das gehen sollte, es sollte alles einfach so von selbst geschehen, als gäbe es jemanden, der sich darum kümmerte. Verzweifelt vermaß ich jetzt die Entfernung, die um nichts kleiner geworden war in all der Zeit, eher war sie noch gewachsen, seit wir uns nicht mehr gesehen hatten, weil wir uns daran gewöhnt hatten und es so hinnahmen. Unverwundbar und zurückhaltend war er mir vorgekommen, dabei war er noch nicht einmal das. Im Vergleich zu seinem Schmerz um andere, um eine andere, krümmte sich meiner geradezu lachhaft, jämmerlich entwertet. Eines gestand ich mir allerdings auch jetzt noch nicht ein: dass gerade Petru selbst in meinen Empfindungen für ihn eigentlich wenig Platz hatte, dass er verdrängt wurde von dem Ruf einer Welt, in der er sich, wie ich wusste, sicher bewegte. Mein Gedanke blieb an der Oberfläche, ich konnte ihm nicht in die Tiefe folgen, ich wollte nicht wahrhaben, wie groß mein Versagen war. Ich werde dem noch nachgehen, da muss noch etwas zu machen sein, wenn ich mehr Zeit habe, ein andermal …
    Ich ging weiter auf und ab in dem schmalen Zimmer mit den nackten Wänden und dem kahlen Fußboden, während die Zentralheizung unablässig gluckerte und sirrte.
    *
    Hatte es in der Nacht geregnet oder nur früher Reif die Gehsteige benetzt? Die rauchige Luft strahlte in warmem Licht, ob es nun von den herbstfarbenen Baumkronen oder der Morgensonne hinter dem undurchdringlichen Nebelschleier kam. Um mich her war etwas Unstetes und Unwirkliches,

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