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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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zu laufen, wobei ich hin und wieder zerstreut aus dem Fenster sah.
    Â»Ich muss weg, du siehst ja, ich bin bei einem Freund eingeladen«, sagte er und ging selbst zum Kleiderhaken, um mir in den Mantel zu helfen.
    Â»Bei einem Freund oder einer Freundin?«, hauchte ich, und schon glühten meine Wangen vor Peinlichkeit.
    Nicht das war es, was ich ihm hätte sagen wollen, ich hätte ihn daran erinnern wollen, dass wir uns nach fast drei Ferienmonaten zum ersten Mal wiedersahen. Er ist eben zurückhaltend, hielt ich meinen eigenen Zweifeln entgegen und lauerte auf die eine unter all seinen fahrigen Bewegungen, die nur mir gelten würde. Doch er zog den Schlüssel ab und flog hastig die Treppen hinunter. Die Szene war zu peinlich, als dass sie mir hätte passieren dürfen, und ich sah immer noch ungläubig zu in der Hoffnung, dass jemand, der dafür sorgte, dass mir nichts Besonderes, nichts Böses zustößt, die Zeit anhielt. Er aber lehnte an dem schiefen Mast mit dem rostigen Haltestellenschild und sah mit unsteten, abwesenden Blicken den Schienenstrang entlang, nur darauf aus, mir endlich die Hand zum Abschied zu geben.
    Jetzt reicht’s, jetzt reicht’s, sagte ich mir und würgte, ohne es zu merken, den Geruch der Bratkartoffeln und den noch schärferen der versengten Decke hinunter. Jetzt reicht’s, jetzt reicht’s, sagte ich mir und betrachtete die nasse Schwärze der Bäume auf dem Hof und die unendlichen Schwärme Fröstelnder, die durch die Glastür der Kantine drängelten.
    Wie kann er sich bloß immer noch so verhalten, ohne mir auch nur ein Zeichen zu geben, diese Woche war so lang wie der Sommer, womit hat er nur all die Stunden ausgefüllt? Ich wusste, dass er dort nicht sein konnte, aber als ich aus dem Fenster sah, hoffte ich einen Augenblick lang, ich würde ihn sehen, er wollte mich aufsuchen. Genau das war es, was ich dachte, er könnte mich aufsuchen, obwohl ich wusste, dass das nicht sein konnte, genauso wie ich im Dunkeln weiß, dass ich keinen Grund habe, mich zu fürchten, und es dennoch tue.
    Da waren nur die Mädchen, die aus der Kantine kamen. Als sie am Treppenabsatz waren, sah ich auch Barbu, er überwand seine Scheu und versuchte ihnen etwas zu erklären, im strömenden Regen, während sie schnellstens weiter wollten. Mir fiel ein, dass er mich schon einmal abends gesucht und auf mich gewartet hatte, bis ich aus der Kantine kam. Meine Zimmernummer hatte ich ihm nicht genannt, ihm allerdings versprochen, wir würden uns sehen. Und während ich an ihn dachte, schien mir, als müsste ich bisher sehr beschäftigt gewesen sein, denn all die Tage hätte ich keine einzige Stunde mit ihm vergeuden wollen. So ist das also, wenn man für jemanden keine Zeit hat, sagte ich mir, ich begriff das alles so gut, und es war mir dermaßen unangenehm, dass ich es sofort wieder vergaß.
    *
    Â»Bist du das?«, fragte Anda und zeigte mit dem langen roten Fingernagel im Inhaltsverzeichnis der Zeitschrift auf meinen Namen, der in kleinerer Schrift hinter dem meines Onkels stand.
    Ich nickte betreten. In unserer Stadt traf die Zeitschrift erst später ein, und noch bevor ich nach Bukarest kam, war sie hier schon vergriffen. Ich suchte sie an allen Zeitungskiosken, fand sie aber nur noch hier, in der Bibliothek. Ich nahm sie und zog mich damit in die letzte leere Stuhlreihe ganz hinten zurück. Immer wieder öffnete ich sie mit brennenden Wangen und klappte sie gleich wieder zu, sobald ich Schritte in der Nähe vernahm. Mein Name, wie er gedruckt dort stand, beschämte mich, als stände ich plötzlich starr und nackt in einem Schaufenster. Selbst auf der Straße hatte ich, seit ich von dem Erscheinen wusste, den Eindruck, alle Passanten beäugten mich misstrauisch und streng. Erleichtert atmete ich auf, wenn ich bei Bekannten, die ich traf, feststellte, dass sie von meinem Artikel keine Ahnung hatten.
    Â»In den letzten Monaten hat sich Petru Arcan um die Zeitschrift gekümmert, du kennst ihn doch, oder?«, fragte die junge Frau. Sie war aufgestanden und verstaute ihre Papiere in der bäuerlich grob gewirkten, gestreiften Umhängetasche.
    Â»Flüchtig – schon«, stammelte ich und sah sie von der Seite an.
    Sie kannte ich kaum, zum ersten Mal hatte ich sie im Arbeitskreis gesehen, an dem Abend, an dem der Onkel gestorben war. Im Sommer hatte sie den Assistenten geheiratet,

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