Der gleiche Weg an jedem Tag
erschienen ist, auch nicht zum Seminar. Er scheint irgendwo gearbeitet zu haben, wo er auch vor der Zulassung zum Studium gewesen ist, denn er muss selbst für seinen Unterhalt sorgen. Bucur will das allerdings nicht gelten lassen â¦Â«
»Dieser Bucur sollte sich lieber in Acht nehmen, der bedrängt die Mädels beim Verband, sobald er ein Auge auf eine geworfen hat, bestellt er sie zum Bereitschaftsdienst, ich jedenfalls werde nie mehr hingehen, komme was wolle«, schimpfte Didi.
*
Alle, die wir da waren, scharten uns um Ene, der seine abgewetzte Windjacke überzog.
»Ich habe verstanden, ich soll einen ausgeben«, rief er und warf das glänzende Haar zurück, das ihm über die Augen fiel. »Gleich, wenn ich irgendwie zu Geld komm â¦Â«
»Ich habe nicht gewusst, dass er, wie soll ich sagen, dass er in einer so unangenehmen Situation ist«, flüsterte Nana.
»Gewusst hat es ja niemand. Und ich glaube auch nicht, dass es ihm passt, wie es in der Sitzung zur Sprache gekommen ist, jetzt kann er nur noch tun, als ginge ihn das alles nichts an«, erläuterte Sergiu StÄnescu leise.
Ungelenk stieà er die Eingangstür auf und schob uns beide sanft an den Schultern nach drauÃen. Zum ersten Mal sah ich ihn seine gewohnte Zurückhaltung aufgeben, aber an diesem Abend waren wir alle etwas aufgewühlt.
»Wieso hilft ihm aber auch gar keiner, nicht einmal seine Mutter?« Nana lieà nicht locker.
»Das ist schwer zu verstehen, wenn man es aus einer gewöhnlichen, normalen Situation heraus betrachtet ⦠Aber wahrscheinlich hat ihr neuer Mann gewisse Bedingungen gestellt â¦Â«
Sergius bedächtige Sätze standen in gewohntem Gegensatz zu seinen verhuschten Bewegungen. Mir fiel ein, dass Ene sich oft über seine gestärkten weiÃen Hemden und die Krawatten, die er jeden Tag trug, und auch über seine Redeweise lustig gemacht hatte. Dennoch war Sergiu einer der Ersten gewesen, die dagegen gestimmt hatten, als Bucur vorgeschlagen hatte, man sollte Ene auch das Mitgliedsheft des Kommunistischen Jugendverbandes entziehen.
»Hör mal, wenn Nana nicht gewesen wäre, die gesagt hat, was sie zu sagen hatte, wäre die Sitzung ganz anders ausgegangen«, fuhr er fort.
Sein Tonfall war so leidenschaftlich und bekümmert, wie ich es bei ihm noch nie gehört hatte. Er war mir immer als ein von Haus aus allzu behüteter Junge erschienen, der sich nicht gern mit anderen gemein machte.
»Ãber dich habe ich mich aber auch gewundert, von dir hätte ich so etwas nie erwartet â ich hoffe, du bist mir deshalb nicht böse«, sagte er und nahm gleich die Hand von meiner Schulter.
Ich war mir sicher, dass er rot geworden war, nur sah man es auf der dunklen StraÃe nicht.
»Nein«, antwortete ich, »wieso sollte ich dir böse sein?«
Ich fühlte mich geschmeichelt, ich hatte es mir ja selbst nicht zugetraut. Meine Wangen glühten immer noch, und meine Beine fühlten sich an, als wäre ich stundenlang stramm gewandert. Nur â aber es hatte keinen Sinn, ihm oder irgendwem sonst so etwas zu gestehen â, nur war es mir irgendwann nicht um Ene gegangen. Obwohl ich mich, wie alle anderen, immer wieder umgewandt hatte nach ihm, der in der letzten Reihe saÃ, gebeugt und die fettigen Haare noch tiefer über der Stirn als sonst, mit einem Lächeln, das verächtlich sein sollte, obwohl er in sich zusammengesunken war unter den vielen Blicken, die starr auf ihn gerichtet waren. Abwechselnd sah ich auf ihn und auf Nana. Mit neidvoller Unruhe hörte ich ihr zu, wie sie das alles hinkriegte, alles, was sie sagte, war genau das, was man in einer Sitzung so sagte. Sie legte eine besondere Betonung auf bestimmte Wörter und richtete Fragen an den Saal, auf die sie mit Sicherheit keine Antwort bekommen würde, allerdings verstärkte die Erregung ihre Stimme und lieà ihr die Röte in die dunklen Wangen steigen. Mit ihren Worten entwarf sie ein anderes, irgendwie retuschiertes Bild von Ene. Das eines groÃzügigen und diskreten Menschen, eines selbstlosen guten Genossen, als hätte Nana ihm festliche Sonntagskleider übergezogen; man hätte ihn nicht ohne weiteres wiedererkannt als den Kerl mit dem ewig über der Hose hängenden Hemd und der qualmenden Kippe im Mundwinkel. Als Nana sich wieder setzte, wuchs die Unruhe in mir, das emporkochende Blut rauschte in
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