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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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befleckte, monoton und deprimierend. Und während ich ihr zusah, wie sie in der Hocke vor dem Kocher die Kartoffelspalten mit dem Messer wendete, ihre übergewichtigen Pobacken betrachtete, wie sie wabbelig auf die starken, leicht angegilbten Fersen herabhingen, hasste ich sie zutiefst. Sie führte mir vor Augen, dass auch ich in Kartoffeln rühren musste, die ich mir mittags briet, und abends nur eine Flasche Milch mit einem Stück Brot zu mir nehmen durfte, damit ich den gewünschten Stoff für das Kostüm kaufen konnte, das ich dann zu Hause nähen würde, damit es billiger kam.
    Wie auch immer, bei Petru habe ich eh keine Chance, sagte ich mir. Denn ich gehöre nicht in seine Welt, ich wünsche mir das nur, eigentlich.
    Da konnte ich mich nicht mehr beherrschen, obwohl ich den ganzen Vormittag den Gedanken an ihn unterdrückt hatte – an seine Wohnung im dritten Stock, aus deren Fenstern man bis zu dem begrünten Opernplatz sah, und an sein schmerzlich vertrautes Zimmer.
    Â»Ja, ich war mit dem Auto in den Bergen, mit ein paar Freunden …«, sagte er leicht betreten und tänzelte, soweit es die Schnur zuließ, ums Telefon. »Ich habe mir auch eine Forschungsauszeit genommen, für ein paar Tage … Nicht doch, ich hatte wirklich zu tun …«, lachte er in den Hörer. Sein Lachen klang ebenso gezwungen wie seine Worte, hinter denen er sich zu verstecken schien. »Ich hatte gehört, dass es da oben schon geschneit hat, und auch meine Skier mitgenommen.« Ohne Zeugen – mich hatte er vergessen – waren seine Bewegungen wieder fahrig, die eines Jungen, der im Internat aufgewachsen ist. »Es tut mir leid, ich bin nicht mehr dazu gekommen, dich anzurufen, ich wollte es, aber die Kollegen haben mich unterwegs abgefangen und ich musste mitgehen, was trinken …«
    In mir krampfte sich alles zusammen, denn ich erkannte die Ausrede, er hatte sie auch bei mir schon so oft angebracht, dass ich bisher geglaubt hatte, sie wäre mir vorbehalten … Ich stand vom Stuhl beim Schreibtisch auf und ging mit langsamen Schritten zur Tür, doch als ich dort war, blieb ich stehen. Nichts war mir vorbehalten, schutzlos und allein stand ich seinem geheimnisvollen, schwer vorstellbaren Leben gegenüber. Ohne dass ich mich umsah, wusste ich, dass er sich auf den Sessel neben dem Telefon gefläzt und die Beine über die Armlehne gelegt hatte, seine Stimme war nämlich entspannt und er schien Spaß am Gespräch zu haben.
    Â»Wirklich, ein ganzes Jahr? Und wo? Aha, Den Haag – war nicht von Italien die Rede? Aber Den Haag ist ja auch was – Stipendium, oder? Kluger Junge, der wusste schon immer, was er tut …«
    Es wäre albern gewesen, hinaus in den weitläufigen dunklen Flur zu gehen, den ballonseidenen Mantel von dem Hirschhorn-Kleiderhaken zu nehmen und zu gehen, schweigend, wie ich es mir vorstellte. Albern und sinnlos, obwohl ich merkte, dass es auch nichts nützte, wenn ich blieb. Es hatte überhaupt keinen Sinn, jetzt zu gehen, ich hätte nicht hier sein dürfen, niemals. Also ging ich langsam zurück, setzte mich wieder auf den Stuhl und blätterte mit zitternden Händen im erstbesten Buch. Und wartete weiter auf ihn, vielleicht aus Trägheit oder aus Feigheit, allerdings kam ich mir dabei stark vor, außerdem schien es mir wie gleich zu Anfang unmöglich, dass er mich nicht sehen und verstehen würde.
    Man ist aber nur so viel, wie der andere von einem sieht, dachte ich und sah ihr zu, wie sie die Bratkartoffeln sorgfältig auf den Teller schüttete und wie sie in der ausgebeulten Tasche des Morgenrocks nach dem weißen Tablettendöschen aus Kunststoff suchte, in dem sie das Salz aufbewahrte. Man ist aber nur so viel, wie der andere von einem sieht, sagte ich mir wieder, sprang vom Tisch und hielt ihr die Tür auf.
    Wie auch immer, ich habe eh keine Chance bei ihm, sagte ich mir und hockte mich wieder auf meinen Platz, das offene Heft auf dem Schoß. Für einen Augenblick war es mir auch wirklich leichter, ich war überzeugt, ich hätte, egal was ich tat, nichts ändern können. Trotzdem, da war etwas in mir, das mir keine Ruhe ließ und mir mein Schweigen, meine Verkrampftheit, meine ungeschickten Worte vorhielt. Ich sprang vom Tisch, bohrte meine Fingernägel in die Handballen, weil ich es nicht mehr ertrug, und begann im Zimmer auf und ab

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