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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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ein diffus wabernder Dunst, der im aufsteigenden Morgen Form zu gewinnen versuchte. Ich schluckte die feuchte Kühle, in der das Rostrot des Laubes glänzte. Etwas begann, durchsichtig und ungewiss, es floss durch mich hindurch, Hoffnung ließ meinen Blick ruhig werden. Es sollte genauso undeutlich wieder verschwinden, wie ich es vorgefunden hatte, sobald das weiße Tageslicht den Dingen wieder ihren gewohnten Platz im Raum zuwies.
    Im Gehen wiederholte ich, was ich zu tun hatte. Bislang hatte ich nichts anderes gewusst, als den Anruf von einem Tag auf den anderen hinauszuschieben. Ich stellte komplizierte und verworrene Überlegungen an, nach denen all diese freudlosen Tage mir dereinst Petru wiederbringen würden, aber ganz anders, als er gewesen war. Mit unsicherer Genugtuung zählte ich jede schwere Stunde, in der ich mich zur Beherrschung zwang, und schrieb sie einem Gegenkonto gut, dem der Hoffnung auf seine Rückkehr. Ich wusste, dass es ausreichte, wenn ich ihn ein paar Wochen nicht sah, und schon würde die Zeit jene dumpfe Unruhe abschwächen, die ich ständig mit mir schleppte. Trotzdem hatte alles, was mir geschah, einen Bezug zu ihm, da bestand ein absurder und schmerzlicher Zusammenhang. Es reichte schon, dass ich mich bückte und unterm Bett nach den Schuhen suchte, die ich mir vor ein paar Monaten gekauft hatte, weil ich ahnte, wie er sie auf der Straße anschauen, in die Hocke gehen, das Oberleder entlangfahren und die Schnürsenkel lösen würde –, schon zog sich etwas in mir zusammen. Den Frühling, dem ich aus seinem Fenster dabei zugesehen hatte, wie er Tag für Tag ohne besonderen Schwung voranschritt und die noch kahlen Äste der Bäume in monotoner Stetigkeit mit kleinen klebrigen Blättern ausstattete, fand ich plötzlich vollgesogen mit unerträglicher Traurigkeit wieder. Petru ahnte nichts von alldem, er ahnte überhaupt nichts, aber jedes Ding in meiner Nähe barg ein und dieselbe Geschichte. Irgendwann würde meine abgewürgte Liebe sich zurückverwandeln in einfache Dinge wie ausgetretene Schuhe, eine abgetragene Bluse. Bis dahin jedoch setzte sich sein Leben in mir fort, als wäre die ganze Welt, durch die ich ging, nichts als sein intensiver Blick, der mir folgte, ohne es zu wissen.
    Wie seltsam sollte mir später seine Frage vorkommen: »Und was hast du so getan in dieser Zeit? Wieso hast du dich nicht mehr gemeldet? Du weißt, dass ich viel schwerer an dich herankomme …«
    Wie seltsam sollte mir sein leicht anzügliches Lächeln erscheinen … Ich sah ihn enttäuscht an und entgegnete: »Wenn es dir wirklich darum gegangen wäre, hättest du mich gefunden …«
    Doch mein Vorwurf fand nur einen mechanischen, beiläufigen Widerhall, eigentlich hatte ich aber auch nichts anderes erwartet, ja mir nicht einmal gewünscht. So schwieg ich lieber weiter, schließlich hatte ich von Anfang an das Schweigen gewählt. Meinen Weg zu ihm hatte ich dermaßen verinnerlicht, dass jede andere Geste seinerseits mir befremdlich erschienen wäre und ich mich abgewandt hätte.
    Ich hatte schnell gelernt, mich vor seiner allzu hastigen oder allzu höflichen Stimme zu fürchten, vor jedem Wort, in dem ich etwas von seiner Gleichgültigkeit hätte erahnen können. Er bedeutete mir mittlerweile so viel, dass ich rundum verletzlich war wie eine offene Wunde und nur noch versuchte, die prekäre und kurze Ruhe ein bisschen zu verlängern. Ich wusste selbst nicht recht, warum ich den Anruf hinauszögerte, und ich wollte dem auch nicht weiter nachgehen. Ich war dermaßen auf meinen Gedanken konzentriert, dass ich gar nicht spürte, wie ich mich veränderte, ich war mein eigenes Gefängnis. Ich spürte nicht, wie meine Stimme immer abwesender klang, wie die herabhängenden Mundwinkel erste Falten in mein Gesicht zogen. Ich war schweigsamer denn je, auf der Straße, im Trolleybus oder in der Kantine suchte ich möglichst abgelegene Plätze, genervt von dem Gelächter, das mich umgab, von dessen grundloser Leichtfertigkeit. Mutters Härte aus den Jahren, als sie auf Vaters Rückkehr wartete, hatte mich jetzt ganz in ihrer Gewalt. Mit jeder Probe meiner Stärke, von der ich gar nichts geahnt hatte, wurde ich unnachgiebiger gegenüber allem und jedem um mich her. Es war mir alles zuwider, und das immer mehr, der Lärm im Zimmer, die sich wiederholenden

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