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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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nicht viel zu teilen auf Erden.«
    Reichte ihm das für seinen Seelenfrieden, habe ich mich später gefragt, reichte es ihm zu wissen, dass er der beste und am ungerechtesten eingestufte Lehrer der Schule war? Er lebte nämlich, als hätte er noch ein Leben zu erwarten nach diesem, das nun mal war, wie es war. In seinen Augen war nichts von der Unrast derer, die ihrem Erfolg hinterherliefen, er war nicht Tag für Tag krampfhaft darauf bedacht, zu erzwingen, was ihm versagt geblieben war. Er erwartete die gleiche Wiederkehr zu jeder Stunde nach bekanntem Muster und hatte seine Freude an den Gewohnheiten, an denen er unbeirrt festhielt. Unscheinbar, mit einem genügsamen Lächeln, fristete er sein Dasein unter Leuten und Geschehnissen, aber hatte er, so habe ich mich gefragt, nie mehr gewollt als das?

Kapitel IX
    I ch hasse Sonntage«, sagte Mutter und legte ihre Handtasche aus knittrigem braunem Kunstleder an der gewohnten Stelle ab. Samstags kam sie immer später von der Arbeit. Sie schlenderte den Weg entlang, weil sie wusste, dass sie sich nicht mehr beeilen musste. Von jetzt an flossen die Stunden unmerklich über in den nächsten Tag. »Ja«, sagte sie und bückte sich, um noch ein paar Kohlen in den Ofen zu schieben. »Wir hatten vier Zimmer, und du warst gerade erst geboren …« Sie nahm ihre Arbeit auf, und ihre Hände bewegten sich so flink, dass ich ihnen gar nicht folgen konnte. »Unsere Magd trug einen Hut, wenn sie samstagsabends ausging …«
    Ich lachte laut auf.
    Â»Lach nicht so blöd … Ich hatte ihr ein paar von meinen alten gegeben. Denn man konnte nicht in die Stadt gehen ohne Hut, und selbst im Sommer nicht ohne Handschuhe und Strümpfe … Wären die Zeiten anders, hätten wir dich aufs Notre-Dame geschickt.«
    Â»War’s dort gemischt?« Ich war heilfroh, dass ich jene »anderen Zeiten« nicht erlebt hatte: Mihai hätte ich damals bestimmt nicht kennengelernt.
    Â»Nur Unsinn hast du im Kopf«, sagte Mutter ärgerlich. Ihr Gesicht wurde mit jedem Tag verhärmter, ihre Lippen immer schmaler und bleicher. In letzter Zeit trennte sie Schals aus Kunstwolle auf und strickte daraus Pullover, die sie dann auf der Arbeit an Kolleginnen verkaufte.
    Â»An Zenovia erinnere ich mich noch …« Ich wollte sie begütigen: An Notre-Dame war ich ja vorbei- und just zu dem Zeitpunkt aufs Gymnasium gekommen, als die gemischten Schulen gesetzlich festgeschrieben wurden.
    Â»Du erinnerst dich an sie?« In ihrer Stimme klang Freude mit, dass sie dorthin zurückkehren und darüber sprechen konnte.
    Ob sie sich immer an dasselbe erinnerte, oder ob das alles war, was nach jahrelangem Zusammenleben blieb? Jedenfalls schwieg ich und stopfte über dem hölzernen Pilz den Strumpf des Onkels an der Ferse. Ich nahm mit der Nadel eine Masche auf und versuchte sie mit der gegenüberliegenden zu verbinden, zerrte dabei aber zu heftig daran, so dass das Loch sich zusammenzog.
    Â»Trenn auf und fang noch mal an«, sagte Mutter. »Zenovia? Du warst noch keine vier, als sie von uns wegging, um zu heiraten … Nein, sie war noch bei uns zur Zeit der Dürre, sie sagte, wir sollten sie noch behalten, sie könne nirgends hin … Als wir sie genommen haben, konnte sie nicht einmal richtig waschen, bei ihnen auf dem Dorf wurde am Fluss gewaschen, mit kaltem Wasser, und die ganze Wäsche wurde gestärkt.«
    Â»War sie hübsch?«, fragte ich aufs Geratewohl.
    Â»Sie war eine nette Bukowinerin«, antwortete Mutter und stockte, um flüsternd die Reihen abzuzählen. »Sie rieb ihre Kopfhaut mit Petroleum ein, aber darunter brüteten die Läuse, was hatte ich auch damit für einen Ärger, ich wollte ihr die Haare schneiden, aber sie ließ es nicht zu, samstags donnerte sie sich auf und ging auf Tour, sie war ständig aufs Feiern aus. Sie kam immer erst spät nach Hause, und dein Vater ärgerte sich darüber. Einmal hat er sogar das Tor abgeschlossen, aber diese Verrückte ist über den Zaun und durchs Fenster hereingeklettert. Ich fürchtete, du könntest von ihr auch Läuse bekommen, wenn ich mich recht entsinne, habe ich irgendwann auch in deinem Haar ein paar Nissen gefunden.«
    Da erinnerte ich mich an den harten eisernen Kamm mit dichten Zähnen und wie ich nach jedem Bad weinte, bevor sie mir das Haar zu schweren Zöpfen flocht.
    Die Gassen, in

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