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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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lutschte er mit hektisch zuckenden Mundwinkeln an seinen Zähnen.
    Â»Sie reden, aber genauso wie immer …« Onkel Ion ließ das Handtuch sinken, seine Stimme war fester geworden. Zwar warf Pârvulescu, der die Veränderung nicht mitbekam oder müde geworden war, hin und wieder etwas ein, wurde aber stiller und hörte zu, wenn er dabei auch das Gesicht verzog und mit den Schultern zuckte.
    Â»Erstens haben nicht Sie uns hier aufgenommen, Sie waren damals ja noch gar nicht in der Stadt … Bestimmt hat Ihr Schwiegervater Ihnen gesagt, was er uns so viele Male versprochen hat, dass man uns in Ruhe lassen wird, auch wenn Cornelia geheiratet hat … Nun, vielleicht ist es jetzt anders, Sie sind der Vermieter …«
    Â»Ach, hört doch endlich auf, und du komm essen, soll ich denn die ganze Nacht mit dem gedeckten Tisch warten?«, sagte Mutter, die bei seinen letzten Worten hinzukam.
    Endlich zog sich der Vermieter in sein Zimmer zurück, aus dem die Schreie des kleinen Sorin zu hören waren und Cornelia, die ihn mit »Schu-schu-schu« auf den Knien wiegte, wie er es gewöhnt war.
    Â»Ja, ich komme sofort«, antwortete der Onkel. Mit einer neutralen Stimmlage suchte er den Abstand wiederzugewinnen, der ihm noch eine Weile zur Verteidigung dienen würde. Mit geschlossenem Mund atmete er tief, ganz tief durch, dann grub er in seinen Taschen nach Zigaretten und Streichhölzern. Auf der Veranda blieb er vor den drei Stufen stehen, die zur Küche hinabführten, und tastete mit den grobknochigen Händen die raue Mauer ab, dann und wann hustete er röchelnd und spuckte weit auf den Hof hinaus. Wahrscheinlich hatte er eine Vorahnung der schlaflosen Nacht, in der seine Sätze, von Ohnmacht vergiftet, ihn wieder einholen würden. Vielleicht wollte er den Nachgeschmack von Überdruss und Bedauern loswerden, der auch bei der rechtschaffensten Verteidigung zurückbleibt. Vor allem widerte ihn dieses trübe Gemisch aus vereinzelten Wahrheiten an, mit denen beide Seiten auf ihrem Recht bestanden. Von überall strömte die feuchtlebendige Dunkelheit der Frühlingsnacht auf ihn ein, das gefleckte Weiß der blühenden Bäume und das herrische Strahlen des Abendsterns. Gegenüber heulte wieder der Hund, und ein LKW hielt mit rasselndem Keuchen.
    Â»Worauf wartest du noch!«, rief Mutter.
    Onkel Ion warf die gerade angerauchte Zigarette weg, und beim Betreten der Küche muss er sich gesagt haben, dass auch dieser freie Nachmittag, auf den er seit einer Woche gewartet hatte, weil er schreiben wollte, zum Teufel war.
    *
    Hasste Onkel Ion die Vermieter damals genauso wie ich, oder gar so heftig wie Mutter? Denn der Hass, habe ich mir später gedacht, wächst wie die Liebe. Worte und Gesten, die man irgendwann geschluckt hat, kommen immer wieder hoch, voller Ressentiments und verzerrt, man weiß nicht mehr, wie sie waren, wie man die Tage vor der Liebe nicht mehr erinnert. Damals habe ich noch nicht geliebt, sagt man sich verwundert, und keine Schwelle kennzeichnet den wundersamen Augenblick, wenn die Wangen zu glühen und die Knie zu zittern beginnen vor Liebe oder Hass … Deshalb habe ich mich später gefragt, ob er sie auch gehasst hat, und ich glaube es genauso wenig, wie ich glaube, dass ihn irgendwann die Liebe gepackt hat. Es wäre (denke ich jetzt) für einen unschlüssigen Charakter wie den seinen – für ein Leben jenseits der Mitte, resigniert und angepasst – eine zu große Anstrengung gewesen.
    Deshalb glaube ich, er hat auch den Vermieter nicht gehasst, noch nicht einmal im letzten Jahr, als ihn das Gezänk so zur Verzweiflung trieb, dass er mit uns das Haus verließ. Allerdings blieb er dann, keuchend vor Erregung, in den abgelegenen Gassen, in die es uns verschlagen hatte, stehen und betrachtete wehmütig die Ziegelhaufen, die von den abgerissenen Häusern übrig geblieben waren. Neben der im Schutt festgefahrenen Planierraupe stand noch eine Mauer mit merkwürdigen Umrissen. Der grellblaue Anstrich mit abgewetzten Blumenornamenten strahlte eine verschämte Intimität aus, die nicht zu den weißen Mauern nebenan passte. Eine dürre Zigeunerin ging vorüber, die einen Balken auf der Schulter trug. Sie wandte den schief von der Last weggereckten Kopf dem Mann zu, der hinter ihr ging, den speckigen Hut tief in die Augen gezogen, mit schwarzen Fingern die zerdrückte

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