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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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denen kaum noch Häuser standen, lagen immer öder in sonntäglicher Trägheit, die Sonne schien inständig bemüht, in die verstaubten Schaufenster und geschlossenen Fensterläden zu dringen. Nur gegen Mittag versammelten sich kleine Gruppen schwarzgekleideter Menschen an der Straßenecke, das waren die Adventisten. Ich beobachtete sie, begierig, etwas herauszufinden, konnte aber in ihren befriedigt in sich ruhenden Gesichtszügen keine besonderen Zeichen ausmachen. Immer seltener wurden Tore zugeschlagen, und von den übrig gebliebenen, weit auseinanderliegenden Höfen krähten sich die Hähne abwechselnd zu. Langsam geriet das dumpfe Schweigen wieder in Bewegung, und nur ich spürte, wie es im Gleichmaß der tickenden Pendeluhr im Vorzimmer dahinfloss.
    Nein, Onkel Ion mochte die Ungeduld nicht, die mich sonntags gegen sechs packte. Sein Gesicht hinter der Brille wurde immer grauer, während er weiter am Katalog der aus der Schulbibliothek geliehenen Zeitschriftenkollektion arbeitete, wobei er aufs sorgfältigste die noch von niemandem gelesenen Seiten aufschnitt, als merkte er nicht, wie ich verstohlen mein gutes Kleid anzog. Als unsichere Mitwisserin sah Mutter von dem beinahe fertigen Pullover auf. An ihrer unbeteiligten Stimme erkannten wir beide mit der durch langes Zusammenleben geschulten Gewissheit ihr Bemühen, natürlich und gleichgültig zu wirken. »Lass sie doch mit den Mädchen in die Stadt gehen …«
    Lange Sekunden, das Ticken der Uhr im Vorzimmer ging in mich über, dumpf spürte ich es in der Brust und an den Schläfen immer schneller werden. Wenn er dann brummte: »Schon wieder der Korso …«, dann wusste ich, dass ich springen und mir die Schuhe schnappen konnte.
    Es kam aber vor, dass er seine Brille abnahm, sie in der Hand drehte, als wüsste er nichts damit anzufangen, und sich so aufregte, dass er sie ganz vergaß: »Deine Sache«, sagte er, »schließlich ist es deine Tochter, mach, was du willst, sie ist leichtsinnig, von ihr erwarte ich nichts anderes, du aber scheinst nicht zu wissen, auf welcher Welt wir leben …«
    Â»Natürlich, immer ich, als würde ich sie schicken …« Mutters Stimme wurde unangenehm und klang plötzlich dermaßen schrill, dass ich jedes Mal, obwohl ich ja mit nichts anderem gerechnet hatte, zusammenzuckte. »Als wäre es mir nicht lieber, wenn sie hier bei uns bleibt! Wenn sie, sobald sie ihre Hausaufgaben erledigt hat, ein Buch zur Hand nimmt oder noch etwas im Haushalt tut, weil ich das alles nicht mehr geregelt kriege …«
    Â»Ginge es nach euch, wäre ich ein Leben lang eingesperrt in diesem elenden Haus. Die anderen Mädels gehen tanzen und Schlittschuh laufen, die haben ja auch Eltern und ein Haus …«
    Â»Hör einer an, was die jetzt für Sorgen hat«, sagte der Onkel, plötzlich besorgt um seine Brille, die er sanft auf dem Tisch ablegte. »Die Mädchen kriegen Stipendien, die sind nicht in deiner Lage, was weißt du denn, wie viele von den anderen, denen mit einer schlechten Akte, sich in der allgemeinen Aufnahmeprüfung bewerben werden …«
    Jetzt war es aus, mit jedem weiteren Satz wurde die Chance geringer, dass ich noch weggehen durfte, aber ich wünschte es mir so sehr, dass ich es nicht wahrhaben wollte und mit einem Kloß im Hals auf das Schlagen der Pendeluhr wartete.
    Â»Statt unendlich dankbar zu sein, dass du im Lyzeum bleiben durftest, während so viele in deiner Lage relegiert worden sind, stellst du auch noch Ansprüche …«
    Mit zitternden Händen warf Mutter den Pullover zur Seite. In den Redepausen zwischendurch war nur unser Atem zu hören. »Wenn du nicht den Makel deines Vaters als Stempel aufgedrückt bekommen hättest …«
    Â»Als wäre das meine Schuld …« Plötzlich hatte ich Mitleid mit mir, meine Stimme versagte, und ich empfand es als peinlich, wie ich sie verbissen zwang, in mir ein Opfer zu sehen. Sie waren allerdings über die Maßen erhitzt und redeten gleichzeitig.
    Â»Ihm das noch vorzuwerfen, wo er im Gefängnis sitzt und sie auf Tanzen und Spazierengehen aus ist … Selbst ein Fremder …«
    Mutters Wort vom Makel hatte mich tief getroffen, ich spürte es im ganzen Körper ebenso wie die Wut, die mich würgte und die Antworten unterdrückte, die ich mir zurechtlegte. Erbost

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