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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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wenn man die Hand an den rauen Kalkanstrich mit eingetrockneten Pinselhaaren legte. Die Besucherin streifte den speckigen Pelz ab und zögerte minutenlang, ihn irgendwo hinzulegen. Sie behielt ihn schließlich auf den Knien und hustete, wobei sie sich die schmalen, eingefallenen Lippen mit zwei Fingern zuhielt.
    Â»Trinkst du einen Schnaps?«, fragte Mutter. Sie öffnete das Schränkchen und goss ihr in die kleine Tasse aus gebranntem Lehm ein, aus der wir nicht trinken durften. »Lass die«, sagte Mutter immer, »die ist für die Niculina.«
    Â»Oder hast du schon getrunken?« Sie hatte jetzt die Stimme, mit der sie mich empfing, wenn ich spät vom Korso kam.
    Niculina antwortete nicht und hielt ihrem Blick mit gehorsam und unsicher blinzelnden Augen stand.
    Â»Wart mal, dann gebe ich dir vorher etwas zu essen.« Mutter legte ihr einen Kanten Brot und Käse auf einen Teller. »Und was hast du gestern gemacht?«
    Â»Na, putzen war ich bei der Derekterin«, sagte sie kauend. »Sie hat gesagt, ich soll früh kommen und bis Mittag fertig sein, wenn der Herr Oberst nach Hause kommt …«
    Â»Hat sie dir das Geld fürs letzte Mal gegeben?«
    Â»Fürs letzte Mal hat sie’s mir gegeben, aber diesmal, hat sie gesagt, soll ich noch warten.«
    Â»Du bist immer da, wenn sie ruft, und die haben Geld wie Heu. Du siehst doch, dass sie ersticken im Luxus«, sagte Mutter.
    Â»So isses, und was die nicht alles im Haus hat … Aber was soll ich tun, gnä’ Frau«, seufzte sie. Und fuhr sich mit der rauen Hand, in der die Lebenslinien schwarz eingeprägt waren, über das von der Wärme gerötete Gesicht. »Was soll ich denn tun, man sagt eh immer, Jüngere sollen ran.«
    Â»Wer sagt das, davon habe ich nichts gehört«, sagte Mutter.
    Â»Es heißt, auf der Sitzung, da haben welche gesagt …« Die Alte riss einen Brocken vom Brot und schob ihn mit allen Fingern in den Mund. »Die Leut’ sind schlecht, gnä’ Frau.« Sie kippte den Schnaps und wischte sich mit dem schmutzigbraunen ausgefransten Jackenärmel den Mund. »Vergelt’s Gott«, sagte sie und rieb sich die aus der Erstarrung gelösten Hände. »Warm ist es hier bei Euch …«
    Was die alles bereden konnten, stundenlang! Die Niculina kauerte auf meinem Stuhl, und nach der zweiten Tasse Schnaps funkelten ihre altersgelben Augäpfel, aber erst wenn ihre Glieder ganz steif waren, wagte sie ihre Beine in den Strümpfen aus grober grauer Wolle zu bewegen. Mutter schnitt derweil auf dem hölzernen Hackbrett und mit mechanischem Geschick rhythmisch knatternd Möhren, Gurken und Kartoffeln für den Salat, ohne sie aus den Augen zu lassen. Ich nahm mir auch einen Stuhl, setzte mich zu ihnen und gähnte dann und wann verstohlen, blähte die Nasenflügel und spannte die Wangenmuskeln an, um die selbsttätig quellenden Tränen hinter den Lidern zurückzuhalten.
    Â»Der kommt zurück, der Herr Victor«, sagte die Niculina langsam. »Wenn der am Leben ist, kommt er zurück … Ich schau mir auch diese Nachbarin an, der Mann von ihr war Gefangener in Russland, was die auf den gewartet hat … Schlimm ist, wenn man selbst sieht, der ist tot, und man schaufelt Erde über ihn und weiß, der kann gar nicht mehr zurückkommen, und man kriegt kein Mitleid mehr auf dieser ganzen Welt …«
    Â»Was weißt du noch von deiner Tochter?«, fragte Mutter mit einem scheuen Seitenblick zu mir herüber.
    Â»Als sie im Herbst die Jungs hier ins Quartier gebracht hat, da war sie auch bei mir und hat mir zwei Korbflaschen gebracht und Äpfel, denn in dem Jahr hat’s genug davon gehabt. Auch Schnaps hat sie gebrannt, Ihr wisst ja, sie hat diesen Kessel irgendwo versteckt …«
    Â»Sie hätte dir lieber andere Sachen bringen sollen.« Mutter hatte ihre strenge Stimme wiedergefunden. »Verdammt noch mal, Mensch, Niculina, lass doch das Saufen, ansonsten bist du ja eine fleißige und tüchtige Frau, aber so darfst du dich nicht beklagen, wenn du ins Gerede kommst.«
    Â»Na ja, solange ich noch kann, werd ich arbeiten, und wenn nicht …«, antwortete sie, als hätte sie Mutter falsch verstanden. »Und wenn nicht, wird der da oben schon Sorge tragen und mich irgendwann auflesen, meine Tochter hat jetzt auch gesagt, komm, Mutter, nach Hause, aber wo soll ich denn

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