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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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bäumte ich mich im Innersten auf, brachte aber in dem Schweigen zwischendurch nur einzelne Silben hervor.
    Â»Was hat es aber für einen Sinn, es ihr vorzuwerfen? Sie erinnert sich doch kaum an ihn …«
    Erleichtert vernahm ich die müde Stimme von Onkel Ion.
    Â»Alle vergessen wir … Und was kann man schon verlangen von einem Kind? Jeder ist für sein Leben verantwortlich«, sagte er und sah Mutter streng an. »Auch daran hättest du denken sollen, als du von dort weggegangen bist …«
    Â»Du weißt sehr wohl, dass ich das nicht mehr ertragen konnte, diese endlosen Gelage und das Pokerspiel bis zum Morgengrauen … Manchmal denke ich schon, ich wollte dieses Kind anders aufziehen, und wenn ich dann sehe, dass sie auch zu einem solchen Leben neigt …«
    Â»Ach was, von wegen: sie neigt, du übertreibst«, sagte Onkel Ion.
    Schuldbewusst ertrug ich seinen verständnisvollen Blick und rieb meine feuchten Hände an den Knien.
    Â»In ihrem Alter ist es schwer, das alles zu verstehen, nicht mal ihr Vater hatte den Durchblick, und das war ein gestandener Mann …«
    Â»Als ich geheiratet habe, da hast du was anderes gesagt!«, warf Mutter ein. »Ihr wart beide begeistert, du und Biţă, er sei eine gute Partie! ›Die stehen weit über uns, das ist sicher‹, hast du zu mir gesagt.«
    Â»Andere Zeiten, andere Sitten«, sagte er entschuldigend in meine Richtung.
    Seinen unsteten Blick mochte ich nicht, hat er sich denn seither verändert, fragte ich mich, oder weicht er mir aus?
    Â»Außerdem haben wir uns für dich gefreut, woher sollte man wissen, welchen Lauf die Dinge im Leben nehmen würden …«
    Â»Was war, ist vorbei« sagte Mutter und biss sich auf die schmalen Lippen. »Wenn Victor jetzt rauskommt« – dabei schossen ihr wieder Tränen in die vor Erbitterung funkelnden Augen –, »wenn er rauskommt, dann kommt er her, dann geht er nicht zu den Seinen … Er hat keinen Grund, zu denen zu gehen … Auch damals hätten wir uns nicht getrennt, wenn seine Familie nicht gewesen wäre, ich kenne ihn … Wenn er gesagt hat, er kehrt zurück und es wird alles anders, dann wird das auch so kommen …«
    Sie stand reglos da mit geschwollenen Augen und geröteter Nase, die sie dann und wann hochzog. Ich sah sie immer noch feindselig an, ohne jede Spur von Mitleid. Vielleicht war es mein jugendlicher Leichtsinn oder Wunschdenken, aber ich wollte nicht glauben, dass verzeihende Treue in der Liebe auch so aussehen kann.
    *
    Â»Ja«, rief der Onkel, »herein … Ja, herein.« Er hatte als Erster das Klopfen an der Tür gehört. Alle ahnten wir jetzt, wer es sein konnte, wer bis zur Schwelle gekommen war und jetzt unschlüssig, ob er gehen sollte, weiter mit zögerlichen klobigen Fingern von außen gegen das Holz klopfte.
    Â»Wir haben dich doch hereingerufen«, sagte Mutter, presste die Hände gegen die erhitzten Wangen und lehnte sich an die offene Tür.
    Â»Küss die Hand«, sagte die Gestalt. Und schwieg. Aus dem Gesicht ragten eine fleischige Männernase und allzu lange, stachlige weiße Haare aus den Brauen, die sich über den Augenhöhlen bauschten.
    Â»Ich bin hier vorbeigekommen und hab von der Straße Licht gesehen«, murmelte sie heiser und vergrub jetzt erst, im Warmen, die bläulich angelaufenen steifen Hände im Pelz. »Und da hab ich mir gesagt, Ihr seid wohl zu Hause … Ich hab auch an der Außentür eine Weile geklopft, aber das hört man wohl nicht …«
    Â»Nein, das hört man nicht, weißt du doch!«, antwortete Mutter, nahm eine Jacke vom Haken und legte sie sich um die Schultern. »Komm«, sagte sie, »komm mit in die Küche, ich muss eh etwas für morgen vorbereiten.«
    Die Alte setzte sich auf meinen Stuhl an der Wand und strich dauernd ihre fleckigen Rockschöße glatt. Sie stank nach altem Urin und Schnaps, mit den rissigen Fingern, deren holzig geriffelte, schwarz geränderte Nägel tief ins Fleisch eingewachsen waren, schob sie ihr graues Haar unters Kopftuch zurück, das sie straff unter dem Kinn verknotet hatte.
    Â»Zieh doch etwas aus, sonst ist dir kalt, wenn du rausgehst …«
    Die blauen Gasflammen des Herdes versetzten die Luft im Raum unmerklich in Wallung, nur die Wände fühlten sich immer noch kalt an,

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