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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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Kippe zwischen die Lippen schiebend.
    Hier war die Stadt zu Ende, das Gras überwucherte stachlig und warm den Weg, die LKW s wirbelten Staubwolken auf, die gar nicht mehr zur Ruhe kamen. An den schiefen Lattenzäunen blätterte der Kalk, von Weitem erinnerte ihr Weiß an improvisierte Sanitärinstallationen. Eine Bude mit einem handtellergroßen Fenster, darüber das Firmenschild GOGU’S FRISEURLADEN , Gewerbegenehmigung Nr. 17875. In den Höfen Zwiebelbeete und gelbe Narzissen.
    Â»Hier war ich nicht mehr seit der Alphabetisierungskampagne«, sagte der Onkel.
    Neben dem Brunnen am Weg verschnaufte eine füllige Frau neben ihren Eimern. Das vorne geknöpfte, hie und da fleckige geblümte Kleid spannte über ihrem runden Bauch.
    Der verhangene Sonntagshimmel sandte warme, regenverheißende Luft auf die Dächer herab. Die Schlange an der Sodawasseranlage zog sich aus dem kleinen Laden die Treppe herunter bis auf den Gehsteig. Wir waren fast in der Stadtmitte. Vor der Konditorei an der Ecke hingen die Jungs am Geländer, grüßten Onkel Ion in vielstimmig wirrem Chor, einige beeilten sich, ihre Zigaretten zu verstecken. Im Gehen beobachtete ich ihn aus den Augenwinkeln, seine Wut schien einer müden Gleichgültigkeit gewichen zu sein.
    Â»Iss gefälligst nicht mehr auf der Straße«, sagte er unvermittelt mit strengem Blick auf die Tüte Kirschen, aus der ich verstohlen naschte. »Und pass auf, da fehlt ein Knopf, nein, nicht dort, am rechten Ärmel … Wieso lachst du, da gibt es nichts zu lachen, du bist schließlich nicht allein auf der Welt. Meinst du denn, du kannst im Leben machen, was du willst?«
    Â»Ja«, antwortete ich und hielt seinem Blick mit einem frechen Grinsen stand.
    Darauf sagte er nichts mehr, sah nur hin und wieder im Gehen zu mir herüber, missbilligend und resigniert. Nach einer Weile hatte er wieder alles vergessen, er erzählte mir etwas, und ich wunderte mich über seine Schülerinnen, die vom Kino zum Internat marschierten. Sie gingen eingehakt zu viert oder zu fünft, und ihre straff geflochtenen Zöpfe, die nur drei glänzende Löckchen über den pickligen Stirnen freigaben, peitschten ihre Rücken. Die breiten Knie steckten in weißen Baumwollstrümpfen, und ihre rundlichen Körper reckten sich in der Stadtluft. Sie grüßten ihn mit einem halben Lächeln und nahmen mich in Augenschein, ihre Blicke strichen über mein Gesicht. Auch als wir schon vorüber waren, spürte ich, wie ihre Augen sich an meine Fersen hefteten.
    *
    Â»Ich hatte gestern Inspektion«, sagte Onkel Ion und rückte seinen Stuhl vom Gasherd weg, der ihm im Rücken brannte. Während des Essens redete er in einem fort. Nur wenn er sich Wasser eingoss, hielt er inne, krampfhaft darauf bedacht, nichts zu verschütten. »Seit die Brigade der Inspektoren in der Schule ist, war ich mir sicher, dass sie bei mir hereinschneien werden. Als die dann weg waren, hat der Direktor mir ja auch gesagt, auf Sie verlasse ich mich immer, wenn es schwierig wird …«
    Â»Ach ja, klar doch«, sagte Mutter beim Abräumen. »Jaaa, sicher, kostet ihn ja nichts, wenn er das sagt, aber das Gehalt …«
    Â»Lass doch«, der Onkel reckte sich behaglich und legte den Kopf auf die Stuhllehne, »lass gut sein, ich bin halt außen vor …«
    Â»Du kannst nicht fordern«, sagte Mutter unzufrieden und bückte sich mit einem Lappen in der Hand, um die Backröhre zu öffnen. »Schau mal, jetzt, wo sie den Mirescu zum Inspektor gemacht haben, könntest du doch verlangen, dass man dich näher an deinen Wohnort versetzt.«
    Â»Tja …«, sagte der Onkel. Er versuchte, die Korkkrümel mit einem Zahnstocher aus dem Weinglas zu fischen. Das gelang ihm nicht, er führte es so zum Mund. »Geht auch so«, sagte er, als hätte er sie nicht gehört.
    Â»Du hast den ganzen Mauerputz am Ärmel …« Mutter musterte ihn weiterhin abschätzig.
    Aber seine Augen funkelten schon, und er klopfte linkisch die andere Schulter ab, während er durch das schmale Fenster den vor lauter warmer Nachmittagssonne farblosen Himmel betrachtete, der von Kindergeschrei und Hühnergackern erfüllt war. Seine fleischigen Wangen waren tief gefurcht, die fröhlichen Augen von Falten umkränzt. »Lass mal«, sagte er. »Gesund sollen wir sein, ansonsten haben wir eh

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