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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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grauen Studentenausweisen kramten – völlig unnötig, denn Mädchen kamen überall hinein. Es war mit einem Mal so still, dass man den Lautsprecher im Nebenzimmer hörte. Ich kroch unter die blaue Bettdecke, endlich konnte ich lesen, dann und wann tastete ich nach dem Schuhkarton im Nachtschränkchen voller Hörnchen mit Marmeladenfüllung, die mir Mutter geschickt hatte. Ich steckte eins in den Mund, da fiel mir Marta ein.
    Â»Möchtest du auch?«, fragte ich.
    Â»Was denn? Ach, nein …«, kam es vom Fenster.
    Sie hatte den langen geblümten Vorhang um sich geschlungen. Später dann hörte ich, wie sie sich bewegte, sie hatte das Warten aufgegeben, riss den Anorak vom Haken, rannte die Treppen hinunter bis zu der Konditorei an der Ecke und auch gleich wieder zurück.
    Â»Möchtest du?«, fragte sie.
    Ich kippte den Orangenlikör, der so süß war, dass er brannte. Sie schenkte auch ihren Becher halb voll, stellte ihn neben dem Bett auf den Boden und zündete sich mit letzter Hoffnung auf die Wirksamkeit einer Geste und theatralischem Ungeschick eine Zigarette an. Sie hustete ein paar Mal, dann lag sie mit geschlossenen Augen da; der verschlissene Morgenmantel raschelte bei jeder Bewegung. Vielleicht versuchte sie jene paar Nächte zu begreifen, nach denen sie geheimnisumwittert und triumphierend ins Zimmer gerauscht war.
    *
    Allerdings hatte ich keine Lust, alle Abende so verstreichen zu lassen, lange genug hatte ich Mutter zugesehen, wie sie vergeblich gewartet hatte, Jahr für Jahr. Deshalb ging auch ich hin und wieder mit den Mädchen tanzen, wir tauschten Röcke und Pullis untereinander und kämmten uns der Reihe nach vor den beschlagenen Spiegeln im Bad, das alles unter hektischem Türenknallen. Irgendwann waren wir dann alle fertig, versammelten uns am Treppenabsatz und gingen kichernd und durcheinanderschwatzend hinunter. Draußen war es noch warm, doch die Kastanienblätter waren verschrumpelt, als hätte der Frost sie versengt. Eine Berührung hätte gereicht, und sie wären mit kurzem trockenem Knistern zerbröselt wie verbranntes Papier. Sobald wir auf die Straße hinaus traten, erstarrten unsere Gesichter in einem fast feierlichen Ausdruck, wir tuschelten nur noch miteinander, gingen Arm in Arm zu zweit oder zu dritt, ohne uns umzusehen und ohne auf die Sprüche zu antworten, die uns hinterhergerufen wurden. Langsam schritten wir so dahin unter den Baumkronen, die in den roten Sonnenstrahlen bronzen schimmerten wie Haufen von ausgeglühtem, schlackebestäubtem dünnem Blech. In den Straßen ruhte nur das intensive rote Licht, das sich von einem Augenblick zum anderen veränderte. Da war etwas seltsam Verstörendes, das wir in uns trugen, ohne es zu wissen, wir meinten, es sei um uns herum und strömte von allen Seiten auf uns ein wie das flirrende Licht des anbrechenden Abends.
    Noch ehe wir unser Ziel erreichten, verlor der Himmel seine Farbe und schloss seine Wolkendecke über uns. Blind blieben unsere Blicke in der aschgrauen Luft stecken. Ein stumpfes Leuchten ging nur noch von den gelben Kronen der Robinien aus, deren Blätter auf den Gehsteig und auf unsere Schultern herabflatterten, obwohl kein Lüftchen wehte. Schon aus der Straßenbahn sahen wir die Menge, die sich vor den schwarzen Eisengittern versammelt hatte, je näher wir kamen, desto deutlicher wurde das Rumoren. Wir drängelten uns hindurch, wobei wir eng beieinander blieben und die Nachzügler an den Tragriemen der zwischen den Körper eingeklemmten Handtaschen hinter uns her zogen. Wir wussten nur, dass wir hergekommen waren, um eingelassen zu werden, also stießen wir keuchend zwischen fremden Knien und Schultern vor und zerteilten die Wolke, in der sich billiges Parfüm und Kleidermief, Kantinendünste und fremder Schweißgeruch mischten, bis wir schließlich spürten, dass wir wieder durchatmen konnten. Dann holten wir tief Luft, fast waren es Seufzer, die beiden Jungs mit roter, von einer Stecknadel gehaltener Armbinde hielten die Tür einen Spalt auf und musterten uns, als wollten sie uns zählen, während wir uns vorsichtig, aber rasch hineindrückten.
    Â»Ausweis«, riefen sie plötzlich, wenn die Letzte von uns durchschlüpfte. »Ohne kommt keine rein …«
    Nun standen auch die Jungs von draußen in der Tür und riefen uns dasselbe nach. Wir hörten nicht hin, blieben

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