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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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geben!«
    Ich beeilte mich, die angebissene Stulle auf den Tisch zurückfallen zu lassen, schnell genug, dass sie es noch sehen konnte, und legte mich schmollend aufs Bett. Die anderen sahen einen Augenblick zu mir herüber, dann redeten sie wieder über eine Vorlesung, bei der man nichts verstand und niemand mitschreiben konnte. Nur Lili sagte, sie komme mit. Die sind mir so was von egal, eure Blumen, zischte ich so, dass keine es hörte, nicht einmal Clara. Die sind mir so was von egal, eure Blumen, sagte ich und schielte nach der Stulle auf dem Tisch. Am liebsten hätte ich mich schlafen gelegt, aber es war noch fast zwei Stunden hin, bis das Licht abgedreht wurde, und im Lesesaal war zu dieser Zeit kein Platz frei. Angebissen hab ich sie ja eh, sagte ich mir und griff nach der Stulle. In diesem Augenblick trat die Predescu ein, das Blumenglas in der Hand.
    *
    Die Blumen waren mir wirklich egal. Die Mädchen kauften sie, wenn sie zu dritt oder zu viert aus der Kantine kamen. Doch noch bevor sie gingen, toupierten sie sich vor den kleinen viereckigen Spiegeln, die sie auf dem Tisch an irgendetwas lehnten, schminkten sich und stellten sich dann in Strümpfen auf die Betten, um sich in den Scheiben der geöffneten Fenster zu betrachten. Sie gingen immer Punkt zwölf, wenn die Kantine aufmachte, und während sie die an den Ecken bestoßenen weißen Tabletts vor sich her trugen, auf denen die Suppe zäh schwappte, hielten sie Ausschau nach ihrem Tisch und ihren Plätzen, die sie mit den kunstledernen Handtaschen belegt und in dem von blassgrünem Neonlicht überstrahlten Getümmel ein Weilchen unbeaufsichtigt gelassen hatten.
    Â»Schau mal, da ist der Hübsche von der Mathematik«, kicherten sie hinter ihren Löffeln.
    Â»Halt den Mund, siehst du denn nicht, dass der herüberschaut, der hat dich …«
    Sie rissen die üblichen Witzchen, die in einem freudlos genervten Lachen untergingen.
    Und kamen dann auf Diskussion zurück, die allabendlich im Zimmer geführt wurde: Tut man’s, oder tut man’s nicht?
    Darin lag eine Besessenheit, die ich schon fast als Widerstreit von Lehrmeinungen empfand, ansteckend und doch zum Verzweifeln. Im Übrigen wurde in den vielen gemeinsam verbrachten Stunden die Verunsicherung jeder Einzelnen zu Witzeleien und Tratsch vermanscht. Ich begann mich auch an das »Spektakel« in der Wohnung gegenüber zu gewöhnen, obwohl ich nicht recht begriff, was dort geschah. Ich traute mich nicht, eines der Mädchen danach zu fragen oder irgendjemandem zu gestehen, dass ich bis dahin nicht gewusst hatte, dass das Geschlecht eines Mannes so aussieht – rosa bis lila und komisch in seiner Größe. Im dunklen Fenster flackerte die rote Leuchtreklame zum Monat der Geschenke oder für die Ausstellung einheimischer Erzeugnisse, und in unsere Stimmen mischte sich das nahe Ächzen der Trolleybusse.
    Â»Der Kerl, der die SteluÅ£a gestern früh angemacht hat, der hat ihr versprochen, er gibt ihr fünfhundert, wenn’s ein Mädchen ist. Wenn nicht, macht er ihr ein Geschenk …«
    Â»Ach was, eine gehauen hat er ihr …«
    Â»Die Rodica hat es ganz bestimmt erwischt, sie hat mich gefragt, ob ich einen Arzt weiß. Natürlich hat sie gesagt, es ist nicht für sie. Alles blöde Ausreden …«
    Â»Hast du mitgekriegt, dass dieser Nelu nicht mehr bei der Lili gewesen ist, seit er sie aufs Kreuz gelegt hat?«
    Voller Erwartung, dass sie gerufen würden, kämmten sie sich abends im Bad über dem Waschbecken, in dem Haare, Traubenschalen und Papierfetzen schwammen, und zogen den Lidstrich nach.
    Â»Was sind diese Mädel doch schlampig, wie das wohl mal aussehen wird bei denen zu Hause«, brummte die Putzfrau und stützte sich neben dem Mülleimer auf den langen Besenstiel.
    Die eine oder andere fortgeschrittenen Semesters nickte dazu und kümmerte sich weiter um ihre Kochwäsche, Blusen, Feinripphöschen aus der Kinderabteilung und ein Männerhemd, sorgsam darauf bedacht, ihrem Gesicht mit den ersten Ringen unter den Augen ja nicht im Spiegel zu begegnen.
    Die Mädchen der höheren Jahrgänge waren anders, so schien es wenigstens mir, die ich mit ihnen zusammen wohnte. Sie gingen kaum noch tanzen und hatten samstags oder sonntags feste Verabredungen.
    Â»Halt du den Mişu ein wenig hin, bis ich sein Hemd gefaltet habe«, bat mich schon mal eine.

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