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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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verfolgte das Zucken der ineinander verklammerten Körper in dem spärlich beleuchteten Hof, ihr Kopf dröhnte von der ohrenbetäubenden Musik und den dumpfen Stimmen um sie herum, doch langsam entspannte sich ihr Körper, als wäre sie eine Sorge los. Sie wusste, was jetzt kam, Buona sera, signorina, buona seraaa , und bis zur nächsten Pause hatte sie nichts zu tun als den Kopf zu wenden, um hinter vorgehaltener Hand ihr Gähnen zu verbergen.
    *
    Der kann es nicht sein, sagte ich mir, ohne mir den Jungen, der mich gerade aufgefordert hatte, überhaupt anzusehen. Ich dachte an seine schmalzigen Locken, die verbogenen Kragenspitzen, die feuchtkalten Hände, die Standardphrasen, die er mir ins Ohr flüsterte, und zugleich an den säuerlichen Geruch von Zigarettenrauch oder Parfüm. Der kann es nicht sein, sagte ich mir, ließ mich aber von ihm bis zum Wohnheim begleiten, so gingen alle Mädchen vom Tanzen heim, dann standen sie noch lange an der Tür, um sich für das nächste Mal zu verabreden, wenn man gemeinsam ins Kino gehen oder in der Stadt Tee trinken wollte. Über der Uferpromenade hingen erste Herbstnebel, der Staub der Stadt ging darin auf und schwebte über den von spätem Grün bewachsenen Ufern. In den Parks am Weg gab es nachtdunkle Flecken, die ich ebenso mied wie die Berührung des Fremden, der neben mir ging. An den beleuchteten Enden der Allee sah ich Paare, die ich weder um ihr Getuschel noch um die Umklammerungen beneidete, entschlossen schritt ich in Richtung Wohnheim voran, als hätte ich alles, was ich an diesem Abend zu tun hatte, gut zu Ende gebracht.
    Dennoch blieb auch ich, von verborgenen Ängsten umgetrieben, an der Treppe stehen und verabredete mich. Dieser kann es nicht sein, sagte ich mir, wenn ich ihn während des Films misstrauisch von der Seite ansah und meine Finger in seiner warmen Hand ruhen ließ. Der Rückweg von welchem Kino auch immer führte, das wusste ich, durch den Park, der Kies der Allee würde unter unseren Schritten knirschen. Je näher er mir kam, desto weiter war ich von mir selbst entfernt, in der Dunkelheit blieben nur seine fremden Augen und seine hastigen Hände.
    Â»Ich tue dir ja nichts, wieso weichst du mir aus, gefalle ich dir denn gar nicht?«
    Ich antwortete nicht, ließ nur meinen verschleierten Blick schweifen, der Park war in eine bodenlose Finsternis getaucht, und plötzlich ging mir unter dem Beben seines Körpers, der sich an den meinen schmiegte, und der Berührung seines feuchten tabakgegerbten Mundes eine Frage auf.
    Â»Beim wievielten Treffen musst du zulassen, dass er dich küsst?«, fragte ich sie.
    Wieso lachten die denn? Gern hätte ich überall unpersönliche Verlässlichkeit gehabt. Als solche erschienen mir die Vormittagsvorlesungen, die Essenszeiten, der Lesesaal und das abendliche Zusammensein. Und die Bibliothek mit ihren dicken Bücherwänden, an denen sich die Bibliothekarin auf ihrer fahrbaren Leiter emporreckte. Durch die weiß bestäubten Fenster mit schmiedeeisernen Gittern fielen Flecken von gelblichem Licht auf die von den Ellbogen blank gescheuerten Tische. Hin und wieder kam in irgendeiner Ecke ein Raunen auf, wenn Coupons von Bestellzetteln aus den Büchern gerutscht und durcheinandergeraten waren. Dann hoben sich die anderen Köpfe über den mit weißer Farbe nummerierten Tischen mit nervösem Zischen, der von dem runden Zifferblatt mit fein ziseliertem schwarzem Zeiger gemessene Arbeitseifer war gestört. Manchmal hörte ich gar nichts in meiner Versunkenheit jenseits der Seiten. Ich wusste, dass vor Jahren Onkel Ion an diesen Tischen gelesen hatte, dennoch konnte ich nicht glauben, dass er wirklich hier gewesen war, denn jetzt erst begann doch alles, mit mir. Ich arbeitete mich vor durch das Chaos von Ideen und Daten, ab und zu wurden meine heißen Augen feucht zwischen den kalten Lidern, sein Rausch von damals riss mich mit und verschärfte meine Ungeduld. Wenn ich dann, spät, den Kopf hob, würgte mich der Ekel, die Fenster schimmerten von der Schwärze da draußen. Verstört ließ ich den Blick schweifen, der von den vielen Büchern abgelenkt war, so dass ich nicht mehr wusste, was und wie weit ich hoffen sollte. Dann saß ich mit müden, weich über die hohe Stuhllehne hängenden Armen im Lesesaal, der sich kurz vor der Sperrstunde geleert hatte. Der vor so viel Kälte mehlige Schnee

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