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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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öffnete und mit mechanisch beschleunigtem Schwung die Hand an seinem Glied rauf und runter fahren ließ. »So ein Widerling«, raunte dann wohl eine, aber keine von uns rührte sich vom Fenster weg, bis das Licht dort drüben erlosch.
    Â»Ich habe eine ganz tolle Kneipe entdeckt«, erzählte Mihai unterwegs.
    Auf der Allee knirschten die dürren Hülsen des Johannisbrotbaums. Es war warm, sehr warm, man konnte meinen, es sei Sommer, aber die hochroten Hagebutten im Gebüsch wurden schon runzlig. Mit verhaltenem Knacken lösten sich feucht glänzende Kastanien aus der Schale. Zwischen den Gehsteigen glitten bunte Autos über den langgezogenen Boulevard, die Luft war staubgeschwängert, und es roch ein wenig nach trockener Erde und kraftloser Sonne.
    Â»Es ist unwahrscheinlich toll dort, auf der PiaÅ£a Rosetti, man steigt eine Holztreppe hinab, wir gehen mal zusammen hin.«
    Lustlos hörte ich ihm zu, die Vorlesungen, von denen er dauernd redete, waren wie meine, mir aber erschienen sie langweiliger. Das matte Herbstlicht lag auf den Markisen, die über den Schaufenstern schräg auf den Bürgersteig herausragten. Ich betrachtete sie und die Leute, denen wir begegneten, ihre Gangart war mir fremd, mir schwindelte bei dem hastigen Gewusel der Körper … Diese Straßen, die wir entlanggingen, kannte ich schon lange, sie waren wie die im Kino, die Wohnblocks hatten große eisengerahmte Glastüren, durch die man in geräumige Eingangsbereiche blickte, in denen es beständig kühl sein musste. Ungewöhnliche Menschen gingen dort ein und aus, ohne auf meinen Blick zu achten, der ihnen neidisch erregt folgte. Auf den Tischen eines Antiquariats stapelten sich gelbstichige Bücher, noch unaufgeschnitten, die Blätter pappten unter dem Druck zusammen. Der Geruch des Lebens aus »anderen Zeiten« berauschte mich, wenn ich mich über sie beugte, um darin zu blättern, mit dem Staub rieselten Papierkrümel auf den Tisch. Das alles muss ich lesen, aber was zuerst?, fragte ich mich.
    Â»Komm schon, bist du endlich fertig?«, rief Mihai von der Straße her.
    Ich rannte ihm zwischen den eiligen Passanten nach, deren Rücksichtslosigkeit uns hinderte, zueinander zu kommen. Verwirrt sah ich mich um, da erspähte ich vor einem Schaufenster seine Schultern, die eines frühreifen jungen Mannes. Als er sich umwandte, erkannte ich mich in seinem erstaunten Blick und beeilte mich, den meinen mit Gleichgültigkeit zu tarnen. Vor einem mehrstöckigen Kaufhaus wogte die Menge über den breiten Gehsteig hinaus, an hölzernen Anzeigetafeln klebten Kino-, Theater- und Ausstellungsplakate, allerdings andere als jene, die ich mir wenige Tage zuvor einzuprägen versucht hatte. Vor uns fächerten sich die Straßen plötzlich auf, wir blieben unschlüssig stehen und stritten leise, damit die Vorübergehenden nichts mitbekamen. Sie hätten gemerkt, dass wir uns in Bukarest nicht auskannten. Unmerklich war es Abend geworden, der Wind wehte Straßenbahnbilletts und die ersten welken Herbstblätter über den Gehsteig.
    *
    Â»Deine Kommilitoninnen haben nach dir gefragt, eine kleine Dunkle und eine mit vorstehenden Zähnen«, empfing mich die Predescu, als ich ins Zimmer trat.
    Â»Ach ja, Marilena und Nana …«
    Fast die Hälfte der Mädchen meiner Gruppe wohnte im Heim, aber zu den Vorlesungen und in die Kantine ging ich nur mit den beiden. Jede wohnte auf einer anderen Etage, sie kamen und warteten auf mich, denn ich war nie zur verabredeten Stunde fertig. Ich schielte hinüber zum Tisch, wo auf ausgerissenen Heftblättern die Wurststullen aus Graubrot lagen, die statt Frühstück ausgegeben wurden.
    Â»Meine kannst du haben«, sagte Clara.
    Sie las wie gewöhnlich auf dem Bett, diesmal ein Buch. Sie war die Einzige, die im Zimmer lesen konnte, mochte das Stimmengewirr und Durcheinander um sie herum noch so groß sein, und sie hatte, soviel ich wusste, keinen Freund.
    Â»Nimm auch meine, eine reicht dir eh nicht«, sagte die Predescu.
    Sie ging zum Tisch und drückte die mit Lippenstift verschmierte Zigarettenkippe im Deckel eines Senfglases aus, dann verzog sie das Gesicht und führte das Marmeladenglas, das als Vase diente, an die Nase.
    Â»Verdammt«, fauchte sie aus der Tür, die sie mit dem Ellbogen aufstieß, »jedes Mal, wenn du Dienst hast, vergisst du, den Blumen frisches Wasser zu

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