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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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er neigte sich vom Bett hinab, um sein Glas abzustellen, und stützte sich mit der anderen Hand auf mein Knie. »Man muss von vornherein wissen, was man will, und nichts dem Zufall überlassen … Gute Prüfungsnoten reichen nicht, man muss von Anfang an versuchen, sich auch in Arbeitskreisen hervorzutun, genauso bei der gemeinnützigen Arbeit … Das ist ein Faktor, der dann ins Gewicht fällt …«
    Â»Hast du’s auch so gemacht?«, fragte ich, ein Lächeln in der Stimme.
    Ich fühlte mich plötzlich in meinem Element, wo er mir doch Ratschläge gab wie Onkel Ion. Nur dass Onkel Ion es niemals über sich gebracht hätte, mir zu raten, ich solle mich politisch hervortun.
    Â»Ich weiß sehr wohl, was ich hätte tun sollen«, sagte er und fuhr sich durch das wirre Haar. »Nur bin ich leider nicht ausdauernd genug …«
    *
    Â»Wieso machst du das Licht aus? Lass an …«, schrie ich, als Barbu sich nach dem Schalter an der Wand reckte.
    Mit einem Mal erschien sein Gesicht kindlich, seine Wangen glatt, der wässrig weiche Blick, den ich wiedererkannte, flog verunsichert von mir zur Tür und zurück.
    Â»Es ist doch nichts … Wieso erschrickst du denn?«, brummte er. Das halbherzige Grinsen verzerrte seine Lippen zur listigen Grimasse, zumindest schien es mir so, und ich ließ sein Gesicht nicht mehr aus den Augen.
    Â»Hören wir lieber Musik … Außerdem ist die ja an …«
    Er deutete mit der Hand auf die Nachtlampe in der Nische. Ich erstarrte plötzlich, alle meine Muskeln waren angespannt. Unaufhörlich knarrte das Bett, während er sich neben mich legte, für die Musik hatte ich kein Ohr mehr, ich wartete nur sehnlichst darauf, dass die Platte bald zu Ende war. Vom Tisch kam gleichmäßig das harte Ticken des russischen Weckers in viereckigem Lederetui zu uns herüber. Nur die grün phosphoreszierenden Zeiger bewegten sich auf dem blinden Blatt ohne Ziffern. Durch das Fenster in Bodenhöhe dröhnten unablässig die Autos vom Boulevard, sie kamen näher, wurden lauter, weiß flimmernde bewegliche Lichtbalken von den Scheinwerfern zeichneten sich an den Wänden ab, und sobald diese sich hinter dem Vorhang wieder hinaus auf die Straße verzogen, ging das absterbende Rauschen in ein anderes über, mit dem neues Licht ins Zimmer flutete. Wieder knarrte das Bett, und ich wusste, Barbu neigte sich über mich, um mich zu küssen, ich fühlte seinen schweren Körper, der sich über meinen beugte, hörte seinen fliegenden Atem und spürte seinen Herzschlag und das Rumoren seiner Eingeweide. Plötzlich tauchte aus dem ungewissen Dunkel in nächster Nähe ein riesenhaftes Gesicht mit fremden Wangen, fremder Stirn und fremder Nase auf; für einen Augenblick wusste ich nicht, was es neben mir zu suchen hatte. Unter zusammenhanglos gestammelten Wörtern senkte er seinen Kopf auf meine zusammengepressten Knie, der steife Stolz, mit dem er zwischen den Tischen der Bibliothek einherschritt, war dahin. In der Hülle des Körpers, den ich zu kennen glaubte, bewegte sich ein Jugendlicher, dem in Abständen bewusst wurde, dass er sich verstecken musste. Dann blieben seine Bewegungen in der Schwebe, seine Stimme war tonlos, und schweigend lagen wir beide im Dunkeln.
    Â»Nein«, flüsterte ich, als ich spürte, wie seine Hand an meinem Bein heraufstrich.
    Voll bekleidet wälzten wir uns herum, sein Körper, der mir immer fremder erschien, machte sich über meinen her, ich dachte unwillkürlich an meinen geflickten Unterrock, obwohl ich entschlossen war, »es nicht zu tun«. Mit einem Mal erschien mir das alles so unerträglich peinlich und hässlich, dass ich dem Weinen nahe war.
    Mich durchfuhr ein furchtbarer Schmerz wie ein heißer Atem, ich spürte, wie er aufstieg und im Hals einen Knoten bildete, ich biss die Zähne zusammen, damit sich die Tränen nicht unerwartet den Weg zwischen den Lidern bahnen konnten. Seine Hände tasteten weiter nach meinem Körper, der vereist war vor lauter Vorsicht, ich stand auf, noch bevor ich mir selbst im Klaren war, was ich tun würde, und tappte durch das Zimmer, das ich nicht wiedererkannte. Ich stieß gegen eine scharfe Tischecke und suchte mit zitternden Händen nach dem Schalter an der Wand.
    Â»Ich muss gehen«, murmelte ich in der Tür.
    In meinem Innern spürte ich Onkel

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