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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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anzusprechen, ich kannte ihn kaum; wir waren uns in der Tür begegnet, als ich eine Pause machen wollte, und er hatte mich genauso sachlich wie jetzt gefragt, wie es Marta gehe.
    Â»Es tut mir leid, aber ich glaube, auch für sie ist es besser so … Auch wenn es ihr eine Zeitlang schwerfällt, wir … Nein …«
    Er wusste nicht weiter und trat von einem Fuß auf den anderen, dann wandten wir uns beide zum Fenster. In der lauen Luft des Nachmittags funkelten die Kirchtürme gegenüber wie riesige Christbaumkugeln, unten auf dem Gehsteig trieb der Wind haufenweise raschelndes Laub zwischen die Beine der dahineilenden Passanten. So, beim Blick aus dem Fenster, spürte ich wieder die Erregung, die mich um diese Stunde erfasste, wenn ich über den Dächern des Korsos den Sonnenuntergang betrachtete, und ich vergaß Marta sofort. Das schwergoldene Licht brannte in mir, gern hätte ich es aufgehalten und aufgehoben, bis auch ich etwas begreifen würde, aber zu meinem Leidwesen spürte ich, wie es langsam im graubestäubten Rot des Himmels unterging, der vor meinen Augen erkaltete. Die Sonne erlosch, während sie hinter den Blocks verschwand, ihre helle Scheibe war nur noch ein Spiegel, von Lichtflecken durchsetzt. Noch einmal betrachtete ich sie, nur mehr ein riesiges stanniolglitzerndes Rund, dann wandte ich mich um.
    Â»Liest du normalerweise auch hier? Ich kann mich nicht erinnern, dich schon mal gesehen zu haben«, murmelte ich, verlegen um einen Themenwechsel bemüht.
    Er sagte, er sitze an seiner Diplomarbeit und komme her, weil die Bücher hier schneller gebracht würden.
    Â»Ich lese auch in der Bibliothek«, sagte ich, »aber wenn ich ein Zimmer für mich allein hätte, würde ich nur dort lernen. Es muss großartig sein, ein Zimmer für sich zu haben, für sich allein …«
    Â»Andererseits hätte man nicht alle die Bücher hier«, bremste er meinen Überschwang und schmiss die Zigarette in den Blechnapf.
    *
    Damals überlegte ich, ob ich Marta sagen sollte, dass ich ihn getroffen hatte. Es erschien mir besser zu schweigen, und ich mied manchmal grundlos ihren Blick, vor allem wenn ich an dem Tag mit ihm gesprochen hatte. Sie hatte wegen unentschuldigten Fehlens eine Abmahnung bekommen und ihr Stipendium verloren; wenn sie nicht im Zimmer war, sagten die Mädels, sie müsse wahrscheinlich das Jahr wiederholen, und beschuldigten Barbu, dass er sie so lange hingehalten hatte, und manchmal auch sie, weil sie nicht gemerkt hatte, dass es ihm »nicht ernst« gewesen war. Dann aber schien Marta ganz plötzlich einen Neuanfang zu wagen, so plötzlich, als hätte sie in den schlaftrunkenen Stunden, die sie in dem langen Morgenmantel mit achtlos toupiertem wirrem Haar und den verklebten Augen im schläfrigen Gesicht zusammengekauert auf dem Bett gelegen hatte, unverhofft Energie angesammelt. Die Prüfungen rückten näher, und sie las jetzt ständig im Bett, ohne auf den Lärm im Zimmer zu achten. Sie hatte lange gefehlt und deshalb keine Notizen; darum wartete sie, bis das Licht ausging, lieh sich irgendein Heft und ging ins Bügelzimmer, aus dem sie erst gegen Morgen wiederkam. Barbu traf ich immer in der Bibliothek, und manchmal, wenn wir eine Pause machten, gingen wir in die Konditorei unten Kaffee trinken. Allerdings sah ich mich dabei ständig ruhelos um, ohne zu wissen, weshalb, dabei hütete ich mich nur davor, Marta zu treffen.
    *
    Â»Sie hat ein Bedürfnis nach bedingungsloser, fast schon demütiger Hingabe«, sagte er, während er seine Zigarette in dem Tellerchen unter der Kaffeetasse ausdrückte. »Außerdem will auch sie heiraten – wie alle ihre Kommilitoninnen.« Das Gesicht mit dem weichen fliehenden Kinn verzog sich zu einem schmalen hämischen Grinsen.
    Â»Irgendwie kann man das ja auch verstehen«, gab ich leise zurück und dachte mir, eigentlich muss man ja wissen, was man will, und es ist gut so.
    Ihm wollte ich das allerdings nicht sagen.
    Ich hatte die Vorstellung, ich wollte nichts von ihm, deshalb sah ich ihm bedenkenlos in die Augen. Manchmal ging mir durch den Kopf, ich sollte ihm nicht zuhören, wenn er so über Marta sprach, schließlich war sie meine Freundin. Gleich darauf aber tröstete ich mich mit dem Gedanken, unsere Komplizenschaft versetze mich in eine neutrale Welt: eine Welt jenseits des banalen Unterschieds zwischen

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