Der gleiche Weg an jedem Tag
herrschenden Hitze weich wurden. Die Melodien rauschten in meinem Kopf durcheinander, und in jeder einzelnen steckte etwas von der schmerzhaften Peinlichkeit.
»Stell dich nicht so an«, sagte Marilena und verzog das Gesicht. Sie klappte das Heft zu und beugte sich damit zum Nachtschränkchen.
»Von wem ist das?«, fragte ich leise und zeigte auf die Kiste.
»Von mir jedenfalls nicht«, sagte sie beiläufig.
Mir fiel ein, dass sie sich vor einiger Zeit mit ihren Leuten überworfen hatte, es war dabei um ihren Freund Sandu gegangen. Ich strich Senf auf das Stückchen Sülze und griff tastend in den Haufen Brotscheiben, die aus der Kantine entwendet worden waren, sie waren bröslig, gedörrt in der trockenen Hitze des Heizkörpers.
»Ist halt so, wenn man zu spät kommt«, sagte Marilena, als sie meinen Blick bemerkte.
Das war es also, von Anfang hatte ich in der Hitze des Zimmers, in dem Dunst der vielen Körper und Schuhe gespürt, dass etwas über allem schwebte, ein bestimmter Geruch nach Alkohol. Ich stellte den Becher mit dem Bodensatz von Rotwein auf den Tisch zurück.
»Esst ihr noch?«, fragte Marilena und begann, ohne eine Antwort abzuwarten, hastig die Reste abzuräumen. Sie wickelte sie in die fettfleckigen Zeitungsblätter und legte sie zwischen die Doppelfenster.
»So, das hätten wir, komm, gehen wir zu Nana, ich glaube, sie ist noch im Lesesaal â¦Â«
*
Ich ging hinter ihr her und lieà die Hand mit ausgestreckten Fingern bei jedem Schritt mitschwingen. Während ich so an der Wand entlangschlich, stieà sie gegen jeden Türrahmen, einen nach dem anderen. Hinter den Türen waren Stimmen zu hören, einige davon kannte ich schon, es gab Gelächter, irgendwo auch einen Streit. Nur die Zahl auf den weiÃgestrichenen Blechtafeln änderte sich, jeweils um einen Zähler.
»Bleib hier, ich rufe sie schon«, flüsterte Marilena und schubste mich mit dem Ellbogen zur Seite.
Die langen Neonröhren an der Decke tauchten die Gesichter in ein weiÃes Licht, in dem sie älter erschienen. Viele waren an diesem Abend im Lesesaal, manche hatten ihre Stühle aus den Zimmern heruntergebracht und saÃen seitlich an der Wand, man merkte, es war Prüfungszeit. Eine las weit zurückgelehnt, die Beine auf dem Tisch. Von der Tür aus sah ich ihre Sohlen in Ringelsöckchen.
»Nana!«, rief Marilena.
Zu dritt zogen wir uns zurück an unseren gewohnten Platz neben der Schwingtür, die auf den Innenhof ging.
»WeiÃt du, wann die da heimgekommen ist? Vor einer Viertelstunde â¦Â«
In den Gängen rauschte das Schweigen, und in der stumpfen Fensterscheibe spiegelte sich mit gelblich schimmerndem Gleichmut die Leuchtkugel der Deckenlampe. Schon die Stille der Mauern, die ich kannte, und die gewohnten Scherze der beiden Freundinnen bewirkten, dass ich spürte, wie meine Bedrückung wich. Der unbestimmte Schmerz hatte sich irgendwo versteckt, und plötzlich sah ich mich anders. Woher kam mir nur diese steife Gestalt auf der Schwelle wie in einer Filmszene, mit zerknautschtem Rock und panisch nach dem Schalter tastenden Fingern, der hektisch sich überschlagenden Stimme, so bekannt vor?
»Das ist ja allerhand«, schimpfte ich verärgert. »Schau ich denn auf die Uhr, wenn du abends nach Hause kommst?«
»Habt ihr mich aus dem Saal geholt, damit ich mir eure Streitereien anhören muss?«, sagte Nana und gähnte. »Ach, fast hätte ich es vergessen, die von 579 hat gesagt, sie gibt mir morgen die Zettel mit den Fragen â¦Â«
»Wozu brauchst du Zettel?«, sagte Marilena. »Uns prüft eh nicht der Professor, der ist gestern zu einem Kongress nach Deutschland gefahren. Ich glaube, es kommt einer von dem anderen Studiengang, dieser Lange, der Arcan.«
»Arcan, den kenne ich«, platzte ich heraus.
Dabei hatte ich seine linkische Gestalt vor Augen, wie er bei uns zu Hause im Vorzimmer von einem Fuà auf den anderen trat, während er wartete, dass Onkel Ion die Bücher für ihn aus seiner Bibliothek holte.
»Was ist das denn?«, fragte ich und richtete mich als Erste an dem Heizkörper auf.
Zuerst dröhnte es dumpf aus dem Innenhof, dazu Scherbengeklirr. Ich zog den dünnen Vorhang beiseite und schaute hinaus. Alle nach innen gehenden Fenster, selbst die gelb gestrichenen der Badezimmer, standen offen. Die Mädchen beugten sich in
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