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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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Ions Blick, bohrend vor verhaltener Entrüstung, und wusste, dass ich ihn jetzt auch an mir hatte. Allerdings bebte hin und wieder meine Unterlippe. Ich versuchte es zu verhindern, indem ich darauf biss, und sah Barbu mit feindseligem Trotz an. So musterte ich seinen labbrigen Pullover, nach Bauernart aus grob gesponnener Wolle zweifarbig gestrickt, und die ungebügelten, an den Knien ausgebeulten Hosen. Er erhob sich langsam, zwinkerte geblendet, seine Wangen grau von dem spärlich sprießenden Bart, die Lippen zusammengepresst.
    Â»Siehst du, das ist der Unterschied«, brummte er und bückte sich, um den Plattenspieler abzuschalten. »Wie du so geredet hast, da habe ich geglaubt, du denkst wirklich anders als die Provinzlerinnen in deinem Alter, dabei …«
    Ich sah ihn an, ohne etwas zu sagen. Nein, ich werde nicht wie Marta, versprach ich ihm dort in der Tür, ohne mein Schweigen zu brechen. In seinem Gesicht breiteten sich zwei unregelmäßige rote Flecken aus. Ich spürte, dass auch meine Wangen brannten, und presste meine kalten Hände darauf, er hatte mich mit seinem Bart zerkratzt. All die neutralen Gespräche bisher, meine Selbstgewissheit und die Musik des Abends waren dermaßen peinlich untergegangen, dass ich beim Gedanken daran leise mit den Zähnen knirschte. In den kleinen Fenstern unter der Decke stand blau die Nacht. Er nahm meinen Mantel von dem Sessel, auf den er ihn hatte fallen lassen, und hielt ihn mir hin, ohne ein Wort.
    *
    Ich werde noch darüber nachdenken, aber nicht jetzt, sagte ich mir und biss verbittert in meinen Handschuh. Keuchend nahm ich zwei Stufen auf einmal, als ich zu dem Stockwerk hinaufstieg, in dem Marilena wohnte. Ich werde noch nachdenken, aber nicht jetzt, erst nach der Prüfung, murmelte ich. Ich hatte wieder den Weg zum Wohnheim vor Augen, auf dem wir beide kein Wort gesagt hatten, dann den Abschied vor der Tür, bei dem Barbu nur auf Wiedersehen gesagt hatte. Nicht jetzt, nicht jetzt, ein andermal, übermorgen, wenn ich genug Zeit habe, sagte ich mir, blieb auf dem Treppenabsatz stehen und sah aus dem Fenster. Unten zog sich der Boulevard weit und öde unter dem unnatürlich weißen Licht der Neonröhren hin. Darüber blinkte in einem fort die Leuchtschrift LEST TÄGLICH DIE SCÂNTEIA . Mein Blick verharrte sehnsüchtig in der auf meiner Höhe gegenüberliegenden Wohnung, im heimeligen Licht einer Nachttischlampe zeichneten sich die Konturen der Möbel im Halbschatten ab. Wenn ich Zeit habe, nicht jetzt, wiederholte ich für mich und schrak zusammen bei dem Gedanken an das rosa und lila schimmernde Geschlecht des Mannes im gegenüberliegenden Wohnblock, der abends masturbierte in der Hoffnung, die Mädchen im Wohnheim würden ihn beobachten. Ich rannte die Treppen hinauf, stieß die Tür auf, dass sie gegen die Wand krachte, und hielt auf der Schwelle Ausschau nach Marilena.
    Â»He, Mädchen, warum so stürmisch, als wäre einer hinter dir her?«, rief sie mir zu.
    Sie las, allein in sich versunken auf einem Stuhl. Zusammengedrängt auf dem Bett am Fenster, spielten ihre Zimmergenossinnen Karten, stießen sich gegenseitig an und lachten lauthals, wenn eine den Einsatz verpasste. Nur als ich kam, fuhren sie zusammen und duckten sich, weil sie meinten, es sei die Verwalterin. Sofort aber wandten sie sich wieder dem Spiel zu, ohne mich weiter zu beachten. Sobald eine sich bewegte, um einem Krampf vorzubeugen, gerieten auch die Karten zwischen ihren dichtgedrängten Knien und Fußsohlen durcheinander, dann bemühten sie sich, das Spiel wieder herzustellen und mahnten sich gegenseitig, still zu sein.
    Â»Natürlich hast du wieder das Abendessen verpasst«, sagte Marilena und sah mich prüfend an. »Und wieso stehst du da wie ein Ölgötze? Komm und iss …«
    Sie deutete mit der Schulter in Richtung Tisch. Neben der kleinen hölzernen Kiste, auf deren herausgebrochenen Brettchen noch die verwaschenen Buchstaben der Anschrift zu lesen waren, lagen ein Stück mit rotem Paprika bestäubter Speck, in dem Deckel eines Senfglases ein paar Brocken Sülze, ein entzweigerissener Hefezopf, gefüllt mit grünen und roten Stückchen türkischen Honigs, und ein paar runzlige Winteräpfel.
    Â»Ich habe keinen Hunger«, entgegnete ich und schloss mit zögerlicher Hand die Tür.
    Erst jetzt spürte ich, wie meine Bewegungen in der hier

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