Der globale Polizeistaat
militärischer Gewaltanwendung »zum universellen System der durch den Sicherheitsrat der UN repräsentierten Völkergemeinschaft«. Denn solche Kriseninterventionen seien nicht mehr an die »in der UN-Charta vorgesehenen Verfahren zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit« gebunden.
So hat sich, folgt man Denningers Analyse, die Uno mit dem Isaf -Auftrag an die Nato einen Nagel zum eigenen Sarg geschmiedet: Sie hat die Nordatlantik-Allianz ermutigt, den Krieg in Afghanistan zum Anlass zu nehmen, ihre neue Strategie gleich mal auszuprobieren - und sie künftig als völkerrechtlich rehabilitiert zu betrachten. Und das Verfassungsgericht - ohne Not - hat die grundgesetzliche Rehabilitation des Griffs nach der Weltpolizeigewalt gleich nachgeliefert. Nun gibt es kein Halten mehr: Da Karlsruhe zur Verteidigung gegen Terroristen in aller Welt eingeladen hat, können die Kameraden Patrick Behlkes Antiterrorfights praktisch überall beginnen - und ganz ohne Auftrag der Uno. »Die weittragenden Konsequenzen dieses Vorganges für das allgemeine und internationale Moral- und Rechtsbewusstsein«, ahnt Denninger, »sind derzeit noch kaum abzusehen.«
Die Konsequenzen für die Soldaten, die wie in Afghanistan für die neue Weltstrategie der Nato schießen müssen: Sie können nicht mehr absehen, was eigentlich die rechtlichen Grundlagen ihres Handelns sind. Indem ein regionaler Angriffskrieg zur Polizeiaktion umgelogen wurde, hat das Polizeirecht etwas Weltweites bekommen - und etwas Vages. Ist, was sie gelernt haben, Krieg - dann gilt das Gebot des Tötens. Ist, was die in Berlin behaupten, Frieden - dann gilt das Verbot des Tötens. Wie kompliziert es wird, wenn sich Polizeiarbeit und Kriegshandwerk vermischen, zeigt die »Taschenkarte«, das Dienstbüchlein
für jeden deutschen Soldaten mit rechtlichem Rat für das korrekte Verhalten am Hindukusch.
Was ruft zum Beispiel der brave Soldat, bevor er auf einen Taliban schießt?
»Kawum!«
Ja, wirklich wahr, mit »Kawum«, so die Dienstanweisung in der »Taschenkarte«, soll der deutsche Soldat den Gegner warnen, bevor er auf ihn schießt. Das Wort ist ein Ausdruck der afghanischen Paschto-Sprache und steht am Ende eines Satzes, der - wenn genug Zeit ist, das auswendig gelernte Ausländisch aufzusagen - lauten muss: »Melgäro Mellatuna - dreesch, ka ne se dasee kawum.« Zu Deutsch: »Vereinte Nationen - stehenbleiben, oder ich schieße.« So ähnlich, mit anderem Absender, klingt es im Kriminalfilm, wenn der Kommissar einen Verbrecher stellt. Spricht der Gegner in der Wirklichkeit des dunklen Afghanistan zufällig auch Paschto - und nicht das ebenso verbreitete Dari - wird er vielleicht verstehen, dass es sich hier nicht um eine kriegerische Konfrontation handelt, sondern um eine polizeiliche - das Bundesverfassungsgericht spricht von »polizeiähnlicher« 29 Maßnahme. Jeder rechtskundige Taliban wird sich totlachen bei einer solchen Konfrontation. Denn die Drohung des deutschen Soldaten ist notwendig leer: So lange der Gegner nicht die Waffe gegen ihn erhebt, kann der Nato-Krieger nichts tun. Das Töten als Mittel zum Sieg ist im Nichtkrieg verboten. Die Vereinten Nationen selbst haben in ihrem Isaf -Mandat die Beachtung der Menschenrechte in Afghanistan als wichtiges Ziel formuliert. 30 Das Menschenrecht auf Leben aber darf außerhalb kriegerischer Situationen nur in Notwehrsituationen genommen werden.
Bleibt der mit »Kawum« angerufene Taliban aber einfach stehen und bietet dem deutschen Kämpfer sogar eine Zigarette an, gehen die Probleme erst richtig los. Was soll man mit dem Mann machen? Festnehmen? Mit welcher Begründung? Vorbeugehaft gibt es nicht im Recht des Dschungels, und Untersuchungshaft würde ein Ermittlungsverfahren wegen einer Straftat voraussetzen.
Welche Straftat? Der Mann hat ein Gewehr und wahrscheinlich keinen deutschen Waffenschein, mehr ist gegen ihn nicht vorzubringen. Die Praxis am Hindukusch sieht vor, verdächtige Taliban den Mächten zu übergeben, die weniger rechtsstaatliche Skrupel haben: den Häschern der afghanischen Regierung oder den kriegführenden Amerikanern. Beide Möglichkeiten bedeuten erfahrungsgemäß: Folter und Rechtlosigkeit für die Nicht-Kriegsgefangenen. Darf ein deutscher Soldat für so etwas die Hand reichen?
Die Realität freilich ist oft so grausam wie im Fall Patrick Behlkes: Eine Detonation und eine schwarze Rauchwolke reißt den angerufenen Selbstmordattentäter und mit
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