Der globale Polizeistaat
einfach nur im Frieden. Woher weiß denn der brave Soldat, dass das Gegenüber im Dunkeln den Status »Islamist« hat? Taliban tragen keine Uniformen. Dass der Verdächtige ein Feind ist, erfährt der Bundeswehrmann erst, wenn der seine Waffe gegen ihn richtet. Dann aber braucht es kein »statusbezogenes« Vorgehen mehr, dann wird aus Gründen der Selbstverteidigung geschossen. Es geht, statusbezogen, gar nicht anders, als Menschen anzugreifen, zu töten oder einzusperren, die nur in Verdacht stehen, dem Gegner anzugehören. Bei klar strukturierten Aufständischengruppen mag das noch funktionieren. Doch was ist mit den ungreifbaren Netzwerken der Al Kaida? Woran erkennt man den Status des Terroristen?
Das Problem betraf die Deutschen so unmittelbar, dass der Bundestag damit sogar einen Untersuchungsausschuss befasste. Da ging es um den Bremer Türken Murat Kurnaz. Der Bremer mit dem Bart war als angeblicher Taliban-Kämpfer im Dezember 2001 in Pakistan verhaftet, zunächst nach Afghanistan und dann ins amerikanische Terroristengefängnis Guantanamo verschleppt worden. Erst fast fünf Jahre später kam der Deutschtürke wieder frei. Die Rolle der bundesdeutschen Terrorjäger im Fall des Mannes, dem nie eine Tat nachgewiesen wurde, ließ sich auch vor dem Bundestagsuntersuchungsausschuss nicht vollständig klären. Das lag auch daran, dass Akten des Verteidigungsministeriums über die Afghanistanaktivitäten des deutschen OEF-»Kommandos Spezialkräfte« (KSK) wegen »technischer Probleme« (Ministerium) vernichtet worden waren. Unbewiesen blieb so die Behauptung des Opfers, er sei von KSK-Soldaten im US-Gefangenenlager in Kandahar misshandelt worden.
Jedenfalls hat die Bundesregierung nichts unternommen, den Mann aus der Guantanamohaft zu holen, obgleich Vernehmer des Bundesnachrichtendienstes, die mit dem Häftling schon 2002 sprechen durften, zu dem Ergebnis kamen, dass er weder für die Sicherheit Deutschlands noch für die der USA eine Gefahr darstelle. Gleichwohl wurde Kurnaz zum »Sicherheitsrisiko« für Deutschland deklariert, dem auf keinen Fall die Einreise erlaubt werden dürfe. Vor dem Untersuchungsausschuss rechtfertigte August Hanning, damals Geheimdienstler, mittlerweile Schäubles Staatssekretär, diese Einschätzung: »Tatsächliche Anhaltspunkte« wie etwa die Art, in der das Flugticket nach Pakistan bezahlt wurde, alle »Umstände seiner Abreise« hätten »ziemlich genau dem typischen Verhaltensmuster von Personen« entsprochen, die sich als islamistische Terrorristen auf den Weg nach Afghanistan gemacht hatten. Hanning: »Dieser Mann ist zwar vielleicht noch kein Terrorist geworden … aber die Menge und die Kombination dieser Indizien« machten ihn zu einem Sicherheitsrisiko. Das Risiko, so Hanning im März 2007, bestehe fort, doch angesichts der langen Haft in
Guantanamo hätten nun humantiäre Überlegungen die Oberhand gewonnen. 35
So ist es im Krieg: Kein Wort von Grundrechten, kein Wort von Menschenrechten, »humantitäre Überlegungen«, das Notrecht des Mitleids allein begrenzt die Verfolgung durch den Staat. Das Urteil über Kurnaz war status based : Der Mann hat nichts getan, aber er ist vermutlich einer Gruppe zugehörig, die als Feind betrachtet wird.
Dem Leser mag diese Debatte vertraut vorkommen: Wir haben sie oben 36 innenpolitisch geführt: Polizei- oder Strafrechtsnormen, die an die »Gefährlichkeit« von Bürgern anknüpfen, sind nichts anderes als statusbasierte Normen: Verfolgt werden Menschen, weil sie vermutlich zum Feind gehören, nicht weil sie die Waffe gegen die Gesellschaft oder eines ihrer Mitglieder erhoben haben. Wenn ich an diesem Vorgehen erkennen kann, dass Krieg herrscht - soll dann die Konsequenz sein, dass auch in Deutschland die Menschenrechte außer Kraft gesetzt sind? Oder ist es nicht vielmehr umgekehrt so, dass solche statusbezogenen Übergriffe gerade deshalb bedenklich sind, weil sie sich so schwer mit den Menschenrechten vereinbaren lassen? Wenn wir den Krieg an statusorientiertem Vorgehen auf Verdacht erkennen - dann ist Afghanistan überall.
Corns Unterscheidung ist dennoch fruchtbar, weil sie zu immer neuen, interessanten Problemen führt, je länger man darüber nachdenkt. Sein Gegensatz von statusbezogenen und verhaltensbezogenen Militäraktionen ist nahezu deckungsgleich mit der Verwendung der Kriegsbegriffe Angriff und Verteidigung: Statusbezogenes Handeln setzt im Einzelfall voraus, dass nichts passiert ist, keine Bedrohung, kein Angriff,
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