Der globale Polizeistaat
allein die Zugehörigkeit zu einer als Feind erklärten Truppe reicht. Wer nun schießt, greift an - anders als der, der sich verteidigt, weil er auf die konkrete Gefahr eines Angriffs - also handlungsbezogen - reagiert. Einen Schritt weiter, und wir haben das Grundgesetz in der Hand: Artikel 87a regelt die Aufstellung von Truppen »zur Verteidigung«. Folgt daraus, dass statusbezogene Taschenkarten
verfassungswidrig wären? Haben sich vielleicht die Oberen im Verteidigungsministerium, die den Soldaten in Afghanistan mit der Kawum-Regel ein streng handlungsbezogenes Vorgehen aufgaben, nach dem Kurnaz-Desaster von Geoffrey Corn beraten lassen?
Woran erkennt man den Unterschied zwischen Krieg und Frieden? Es wird immer schwieriger. Weltweite Verwirrung hat in dieser weltweiten Unordnung ein Urteil des US-amerikanischen Supreme Court aus dem Jahr 2006 gestiftet. 37 Da ging es um den jahrelang in Guantanamo inhaftierten ehemaligen Taxifahrer und späteren Chauffeur Bin Ladens Salim Ahmed Hamdan. Der Mann ist mittlerweile rechtskräftig wegen seiner subalternen Hilfestellung für den Terror zu einer Haftstrafe von fünfeinhalb Jahren verurteilt. Der Supreme Court, das amerikanische Verfassungsgericht, hatte darüber zu urteilen, ob seine Inhaftierung in Guantanamo als »feindlicher Kämpfer« gerechtfertigt war. Im Prinzip ja, entschieden die Richter: Das Vorgehen gegen Al Kaida und deren Helfer rechtfertige es, die Gefangenen nicht wie Verbrechensverdächtige, sondern wie Feinde zu behandeln, sie also allein wegen ihrer Zugehörigkeit zum Gegner zu internieren. Denn der Kampf mit Al Kaida sei ein »nicht internationaler bewaffneter Konflikt«, in dem Kriegsrecht gelte. Das verblüfft allerdings, weil ja der Krieg gegen den Terror alles andere als »nicht international« ist, sondern von den USA nahezu vollständig im Ausland geführt wird.
Die Richter benutzten den Ausdruck denn auch nur, um darauf hinzuweisen, dass sie auf den Krieg gegen den Terror die Vorschriften der Genfer Kriegsgefangenenkonvention 38 angewendet sehen wollten. Artikel 3 der Konvention stellt klar, dass ein Mindestschutz für Kriegsgefangene auch verlangt wird »im Falle eines bewaffneten Konflikts, der keinen internationalen Charakter aufweist und der auf dem Gebiet einer der Hohen Vertragsparteien entsteht«. Dies im Falle Hamdan anzuwenden, war nur gut gemeint: Denn das Pentagon verweigerte dem »feindlichen Kämpfer« Hamdan wie seinen Leidensgenossen auf der Insel der
Leguane selbst minimalen humanitären Schutz. Wer nach Guantanamo kam, hatte vor diesem Supreme Court-Urteil weniger Rechte als ein Tier, er war eine Sache, freigegeben zur beliebigen Misshandlung durch sadistische Aufseher.
Dem Völkerrecht hat diese Entscheidung weniger gut getan. Denn der Supreme Court stellte durch die Einbeziehung des Antiterrorkampfes ins humanitäre Kriegsrecht klar, dass überall dort, wo der Staat gegen Terroristen antritt, Krieg herrscht, dass die Menschenrechte hier nicht gelten. Die Abgrenzung zwischen Krieg und Frieden, zwischen nur humanitärem Schutz und Menschenrechtsschutz, ist im Völkerrecht tatsächlich bei innerstaatlichen bewaffneten Auseinandersetzungen schon immer problematisch gewesen. Eine »bewaffnete Auseinandersetzung«, die es erlaubt, in solchen Bürgerkriegssituationen statusbezogen, also wie im Krieg, zu kämpfen, wo es sinnvoll ist, zu töten und Kriegsgefangene zu nehmen, haben Völkerrechtler bislang nur dann angenommen, wenn der aufständische Gegner, einigermaßen solide organisiert, Teile des Staatsgebiets bereits unter Kontrolle hatte und der militärischen Staatsgewalt tatsächlich etwa ebenbürtig war. Versprengte Netzwerke von Verbrechern, spielten sie sich auch als Rebellen auf, sind herkömmlich eben nicht als Kriegsbeteiligte, sondern als Kriminelle Gegenstand anlassbezogenen polizeilichen Vorgehens - samt ihrer Menschenrechte.
Diese pragmatische Völkerrechtslehre auch im Angesicht der Untaten von Osama Bin Ladens Leuten aufrechtzuerhalten, musste Probleme machen. Denn nach dieser Lehre wäre der Angriff vom 11. September eben kein »bewaffneter Angriff«, sondern schlicht ein besonders schweres Verbrechen. Die Konsequenz: Im Inland wäre das FBI zuständig gewesen - und im Ausland hätten die Amerikaner wenig tun können. Ein Polizeieinsatz zur Verbrecherjagd in fremden Ländern? Wo gibt’s denn so was? Das Verschleppen von Islamisten nach Guantanamo? Völkerrechtswidrige Entführungen.
Das hätte selbst der
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