Der globale Polizeistaat
verlassen und sind Diskussionsgegenstand bei Sicherheitsstrategen und auf völkerrechtlichen Konferenzen in aller Welt.
Der Wissenschaftler arbeitet haargenau auf der Zivilisationsgrenze zwischen Krieg und Frieden: Im Kampf gegen den Terror, so die Idee, muss es etwas dazwischen geben, eine »dritte Spur«, über die viele Völkerrechtler, aber auch Politiker wie Schäuble nachdenken. Dem Terrorismus soll zwar kriegerisch, aber gleichwohl nicht unter völligem Verzicht auf Menschenrechte entgegengetreten werden. Die dritte Spur: Man kann es menschenrechtsgebundenes Kriegsrecht nennen - oder menschenrechtsvermindertes Polizeirecht, egal: »Es geht«, sagt Kreß, »um ein spezielles internationales Rechtsregime, das staatliche Selbstverteidigungsaktionen gegen transnationale Terrororganisationen regelt.«
Der Völkerrechtler setzt auf, wenn auch schwache, Impulse in der Rechtswelt der Terrorbekämpfer, in ihrem Krieg einige Errungenschaften der Friedenszivilisation zu übernehmen. So war es ausgerechnet das Beit haMischpat haElyon, der Supreme Court des ebenso kämpferischen wie terrorgepeinigten Staates Israel, das in einer weltweit viel beachteten Entscheidung 2005 drauf bestanden hat, dass auch im Krieg gegen den Terror der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gelten muss 39 . Dieser Grundsatz, so die israelischen Juristen, verbiete etwa die gezielte Tötung
von Feinden, ohne dass eine akute Gefahr dies erfordere. Wolfgang Schäuble hielt es im SPIEGEL-Interview 2007 immerhin noch für eine bedenkenswerte und darum klärungsbedürftige Möglichkeit, »eine ferngesteuerte Rakete« auf Osama Bin Laden abzufeuern, »um ihn zu töten«. Einem Krieger muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit lächerlich vorkommen, in der Friedensordnung der meisten Staaten hingegen hat dieser Grundsatz Verfassungsrang. Das Votum des höchsten israelischen Gerichts machte der zum Schlimmsten entschlossenen Regierung in Jerusalem viel Ärger und bedeutete nach Kreß »eine bemerkenswerte und ausdrücklich menschenrechtlich motivierte Abweichung von der staatlichen Tötungsbefugnis im Recht des internationalen bewaffneten Konflikts«.
Ähnlich ist es mit der - vom US-Supreme Court erzwungenen - Bereitschaft der USA, ihre »internierten feindlichen Kämpfer« einer wenigstens gelegentlichen richterlichen Begutachtung zuzuführen: Auch ein Zugeständnis des Kriegsrechts an die Zivilisation der Menschenrechte. »Niemand käme auf die Idee«, tönte noch 2007 der damalige US-Heimatschutzminister Chertoff, »einem Taliban, den wir in Afghanistan gefangen nehmen, einen Anwalt zur Seite zu stellen«. Doch dank der Richter verkehrten schließlich doch Anwälte in der Gefängnisanlage von Guantanamo.
Das sei, sagt Kreß, auch vernünftig: Denn im Kampf gegen den Terrorismus gehe es nun mal nicht, wie im Krieg, um die Vernichtung des Gegners, es gehe nur um law enforcement , um Rechtsdurchsetzung, und mehr, als dafür erforderlich, müsse man dem Gegner nicht antun. »Ein Law-enforcement -Regime sollte Terroristen als Kriminelle behandeln. Das Gewicht ihres Angriffs reicht nicht, sie zur Kriegspartei zu erheben«, formuliert der Kölner Kreß. Entsprechend müssten Staaten, die wie Amerika unter Berufung auf ihr Selbstverteidigungsrecht das Militär gegen den Terror mobilisieren, sich mäßigen: Der Krieg gegen Osama Bin Laden und seine Leute müsse »sich an Menschenrechtsstandards orientieren«, mit der Folge, dass
- Töten außer zur Abwehr einer gegenwärtigen Attacke erlaubt ist, aber nur, wenn es »unbedingt erforderlich« und es nicht möglich ist, den Gegner festzunehmen;
- Vorbeugehaft zwar zulässig, aber nur unter richterlicher Kontrolle, und niemals unbegrenzt ist;
- unvermeidliche Kollateralschäden - also etwa das Töten Unbeteiligter - nur riskiert werden dürfen, wenn ihr Gewicht den militärischen Vorteil der Aktion nicht übersteigt;
- Folter ausnahmslos verboten ist.
Der Vorschlag, von dem Kreß selber einräumt, dass er einige »sensible Probleme« mit sich bringt, hat wie alle Versuche, Kriegsrecht und Polizeirecht zu vermischen, den Nachteil, dass er sich im Krieg als zahnlos erweist, für den Frieden aber brandgefährlich ist. Ein bisschen Kriegsrecht, ein bisschen Polizeirecht, das geht so wenig wie ein bisschen Krieg oder ein bisschen Frieden - oder ein bisschen Rechtsstaat. Indem einige menschenrechtliche Auffangnetze die »dritte Spur« weniger rau erscheinen lassen, sind die Probleme noch lange nicht gelöst,
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