Der globale Polizeistaat
die wir darin sahen 40 , dass Krieg gegen Menschen statt gegen Staaten geführt wird. Militärische Gewalt gegen Staaten ist voraussetzungslos, weil man in der Regel hoffen kann, die Richtigen mit den richtigen Mitteln zu treffen. Im Kampf gegen die uniformierten Streitkräfte eines bekennenden Feindes ist Rücksicht ein schlechter Ratgeber - wer am härtesten zuschlägt, gewinnt: Dies war das Modell des »symmetrischen Krieges« der Westfälischen Staatenordnung, das bis heute die Grundgedanken des Kriegsrechts prägt. Richtet sich die ganze Macht des Staates gegen einzelne Menschen, wird die Situation so unübersichtlich, dass die Einhaltung dieser Regeln kaum noch möglich ist. Woher weiß man überhaupt, dass man keinen Unschuldigen trifft?
Die Nagelprobe eines brauchbaren Rechts der Gewaltanwendung ist immer die Lizenz zum Töten. Will ich den tödlichen Schuss aus der Maschinenpistole, den Einsatz einer Killerdrohne per Joystick in der jemenitischen Wüste wie Kreß an das Vorliegen bestimmter Tötungsvoraussetzungen knüpfen, stelle ich
jeden Soldaten vor schwierige Entscheidungen: Er muss wie ein Polizist erst prüfen, ob wirklich eine nicht anders abwendbare Situation vorliegt - und ob er das Gegenüber nicht ebenso gut festnehmen könnte. Was ist im Falle eines Verdachtes? Muss der Soldat sein Leben riskieren, um zu überprüfen, ob das scheinbar harmlose Bäuerlein ein Selbstmordattentäter ist?
Weiter: Wenn das Töten während einer gegenwärtigen Attacke ohne Weiteres erlaubt sein soll, wie lange ist eine Attacke gegenwärtig? Was ist bei einer (mutmaßlichen) Serie von Attacken? Ist dann präventives Töten zulässig? Wie weit im Voraus darf ich einer Attackenfolge entgegentreten?
Wie ist es bei einem solchen Rechtsregime überhaupt möglich, statusbezogen zu handeln, also etwa Personen anzugreifen, weil sie - vermutlich - Mitglieder eines Terrornetzwerkes sind? Ist es denkbar, Personen auf Verdacht zu töten, weil die Feststellung ihrer Identität zu gefährlich wäre? Und wenn nicht - was dann?
Es sind natürlich Situationen denkbar, in denen die Verhältnisse so ruhig - um nicht zu sagen: friedlich - sind, dass eine sorgfältige Prüfung aller Menschenrechtsvoraussetzungen möglich ist. Dann aber muss sich der Verfechter eines kriegerischen Antiterrorrechts fragen lassen, warum er das Recht haben will, mit Kanonen auf Verbrecher zu schießen. Warum soll dann nicht einfach Polizeirecht gelten?
Die Antwort auf die letzte Frage ist scheinbar einfach - und zeigt erst das wirkliche Problem: Mit Polizeirecht geht das nicht. Denn nach seinem Polizeirecht kann ein Staat nur auf seinem eigenen Gebiet vorgehen, nach dem Polizeirecht des Staates, in dem er den Terror bekämpfen will, kann er erst recht nicht handeln. So ist die Ordnung der Welt: auswärts steht kein Polizeirecht zur Verfügung, nur Kriegsrecht. Der Zugriff eines Staates auf die Menschen in einem anderen Staat aus Gründen der Verbrechensbekämpfung oder Gefahrenabwehr ist herkömmlich ausgeschlossen. Wenn, wie Kreß zugrunde legt, die Terroristen nichts weiter sind als gefährliche Kriminelle, dann ist ihre Verfolgung allein die Aufgabe des Staates, auf dessen Gebiet sie sich befinden.
Eröffnet man aber mit der Begründung, dass dies, wie zum Beispiel in Afghanistan, faktisch nicht möglich ist, jedem Staat die Tür, für Recht und Ordnung ( law enforcement ) im Nachbarstaat zu sorgen, führt dies zu einem gefährlichen Durcheinander. Was in Afghanistan geschieht, könnte in etwas gepflegterer Form zum Prinzip des Umgangs miteinander werden: Die Killerdrohne aus Washington, die zur Bekämpfung eines nach CIA-Informationen unmittelbar bevorstehenden Attentats in Neu-Ulm einschlägt, wäre keine Vision eines bösartigen Buchautors, sondern völkerrechtlich vollkommen in Ordnung. Das Mehr an Menschenrechtschutz für die Bürger Afghanistans könnte, wenn es schlecht läuft, ein Weniger an Grundrechtsschutz für die Menschen in Deutschland bedeuten: Wenn amerikanische GIs nach dem nächsten Anschlag in den Vereinigten Staaten durch Deutschland brausen, um den Tätern nachzustellen, könnten sich die Bürger lange auf ihre Grundrechte berufen. Für amerikanische Soldaten sind die vollkommen unverbindlich.
So könnten wir, mitten im Frieden, afghanische Verhältnisse mitten in Europa bekommen: Im Kampf gegen den Terror weiß niemand mehr, wer eigentlich das Sagen hat. Und jeder Bürger muss wie Kafkas Josef K. damit rechnen, von einem
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