Der globale Polizeistaat
Menschen statt auf Staaten ist seine Entterritorialisierung. Denn während die traditionellen
Beteiligten im Völkerrechtsverkehr, die Staaten, an ein Stück Land gebunden waren, sind Terroristen überall und nirgends. Ortlos und grenzenlos wie die terroristische Bedrohung ist das Terrornetz von Al Kaida und befreundeter Gruppen. Damit aber wird alles, was im Völkerrecht so schön klar war, auf einmal unklar. Die Zugehörigkeit zu einer Rechtsperson des Völkerrechts lässt sich nicht mehr durch einfache Ausweiskontrolle oder durch den Verweis auf eine in allen Landkarten eingetragene Staatsgrenze feststellen. Terrorzellen haben keine Fahne und wahrscheinlich auch keine Hymne, sie haben keine Identität. Wie also kann man ihnen gegenübertreten? Beziehe ich die Völkerrechtssubjekt-Qualität auf einzelne Menschen, stellt sich die Frage entsprechend: Woran erkenne ich, dass die Frau in dem Auto in Kundus, das nicht bremsen will, ein Völkerrechtssubjekt ist und nicht in ihrer Eigenschaft als Bürgerin unterwegs?
Die Entgrenzung des Völkerrechts führt nur dann zur »symmetrischen« Auseinandersetzung, wenn alle Beteiligten gleich beweglich sind. Das bedeutet, auch die Staaten müssen oder dürfen sich »entgrenzen« - und das tun sie ja auch, wenn sie sich über ihr Territorium hinaus auf Terroristenjagd machen. Sogar das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Tornado-Urteil 45 bestätigt, dass der Staat des Grundgesetzes nicht abwarten muss, bis die Terroristen kriegerisch an seinen Grenzen stehen: Schon am Hindukusch beginnt der Angriff gegen die Sicherheit der Völkerrechts-Rechtsperson Deutschland, schon am Hindukusch muss zurückgeschlagen werden.
Wenn die Völkerrechtsqualität einer Person aber nicht mehr auf ein Territorium bezogen ist, das per Grenze gegenüber anderen Territorien anderer Völkerrechtssubjekte abgeschlossen ist, entfällt der Begriff der völkerrechtlichen Souveränität als des ausschließlichen Herrschaftsanspruchs über ein Gebiet. Terroristen kann das nur recht sein, den alten Mitgliedern der Völkerrechtsgemeinschaft, den Staaten, aber nicht. Denn so, wie sich ihr Handeln entgrenzt, entgrenzt sich auch das Handeln der Nachbarstaaten: Wir sind wieder im Krieg der Drohnen, in
dem jeder Staat sich auf dem Gebiet eines jeden anderen Staates zuständig fühlt, gegen den Terrorismus zu kämpfen.
Der deutsche Staatsrechtler Erhard Denninger weist darauf hin, dass es gerade der »territorialstaatlich geprägte Souveränitätsbegriff« war, der seit dem Westfälischen Frieden 1648 die Verhältnisse der zivilisierten Welt geordnet hat - »Höhe und Kulminationspunkt dieser Epoche des internationalen Rechts ist die Charta der Vereinten Nationen mit ihren Grundsätzen der souveränen Gleichheit aller Mitglieder, des Gewaltverbots und des Interventionsverbots.«
Keiner dieser Grundsätze würde in der neuen Völkerrechtsordnung überleben. Die Staatengemeinschaft würde sich einer Art Weltinnenpolitik gegenübersehen, in der es keine Zuständigkeiten und keine verbindliche Entscheidungsinstanz mehr gäbe. Es wäre ein Völkerrecht für jedermann. Ein »kommunitäres Völkerrecht« (Mammen) wäre die rechtliche Grundlage für einen Weltpolizeistaat: Auf der Suche nach dem obersten Feldherrn in diesem Kriegsdurcheinander gegen den Terror käme man im Zweifel schnell auf den amerikanischen Präsidenten.
Nicht mal das. Auch das amerikanische Imperium ist nicht vor dem globalen Trend der Entterritorialisierung gefeit: Vom Untergang bedroht ist der Staat an sich - der Staat als die größte Kulturleistung der Neuzeit. Die Entwicklung, so die Princeton-Professorin und Völkerrechtlerin Anne-Marie Slaughter, »verweist auf die Zeit vor dem Westfälischen Frieden«.
Der Untergang des Staates ist allerdings ein quälender Prozess, eine ständige Zerreißprobe. Die amerikanische Soziologin Saskia Sassen, Professorin an der Columbia-Universität in New York und zurzeit eine der am meisten zitierten Vordenkerinnen einer neuen Weltordnung, lehrt 46 : »Ein entscheidendes, doch gern übersehenes Kennzeichen der heutigen Zeit ist die wachsende Zahl einer ganzen Reihe von unvollständigen, oftmals hoch spezialisierten globalen Verknüpfungen aus Bruchstücken des Territoriums, der Autorität und der Rechte, die sich allmählich dem Zugriff der institutionellen Rahmenwerke des Nationalstaats
entziehen.« Der Begriff »Globalisierung« sei dafür viel zu einfach: »Diese Verknüpfungen verlaufen quer zu der
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