Der globale Polizeistaat
Zivilisationsleistung der Neuzeit, unter Verweis auf die »asymmetrische Gewaltausübung« (Münkler) der Terroristen preisgibt, befindet sich auf dem besten Weg zurück ins Mittelalter, in Zeiten, da Krieg und Terrorismus noch nicht geschieden waren - wer die Westfälische Staatenordnung verloren gibt, begibt sich in jenes Zeitalter, in dem der atavistische Islamismus verharrt - und in das er die westliche, verhasste Zivilisation zurückbomben will. Auch Afghanistan war einmal ein zivilisiertes Land. Seit es Islamisten in die Hand fiel, geht es dort wieder zu wie im Dreißigjährigen Krieg.
Die Westfälische Staatenordnung wird durch den Terrorismus nicht widerlegt - aber in Bedrängnis gebracht. Wie sehr, das wurde klar, kaum dass die weltweit sichtbare Rauchwolke über den Twin Towers stand. »Das ist Krieg«, will beim Anblick der Katastrophe Senator John McCain gerufen haben. Doch Krieg im eigentlichen Sinne ist es ja eben nicht. Krieg ist Außenpolitik mit Gewalt: »Ein Staat will einem anderen seinen Willen aufzwingen«, erklärt Herfried Münkler. Doch den Attacken Bin Ladens fehlt beides - die Staatlichkeit und der Wille. Seine Terrorhelfer sind eine besonders monströse Verbrecherbande - allenfalls, wie mancherorts die Mafia, unterstützt von staatlichen Instanzen in Afghanistan oder Pakistan.
Und was die islamistischen Kämpfer wollen, ist unklar. Ein klassischer Krieg lässt sich beenden durch Kapitulation, durch Erfüllung der gegnerischen Forderungen. Doch im Falle des Terrorismus ist das schwierig. Worin hätte denn zum Beispiel die Erfüllung der Forderungen der RAF bestanden? Zwar richteten sich einzelne Erpressungen auf konkrete Ziele - etwa die Freilassung von inhaftierten Mitgliedern der Bande. Aber deren Erfüllung hätte ja keinen Frieden gebracht, sondern die Fortsetzung des Terrors, der sich selbst ständig neu gebiert: Je massiver die Welt in Schrecken versetzt wird, desto mehr betrachten die Akteure dies als Bestätigung, auf dem richtigen Weg zu sein. Auf dem Weg wohin?
Staaten, die solche Terrorangriffe als »Krieg« betrachten, offenbaren ihre Hilflosigkeit - sie sind so konstruiert, dass sie sich unter externer Gewaltanwendung nichts anderes als zielgerichtete Operationen fremder Staaten vorstellen können. Diese gefährliche Begrenzung des Horizonts der überkommenen Staatenwelt mag es gewesen sein, die den Komponisten Karlheinz Stockhausen nach dem 11. September zu der provokanten Bemerkung hingerissen hat, die Ereignisse an jenem schwarzen Tag seien »das größte Kunstwerk, was es überhaupt gibt«. Diese Bemerkung wiederum hat den amerikanischen Essayisten Lee Harris zu Überlegungen verleitet, ob vielleicht doch etwas dran sei, an solcher Sicht der Dinge: Das Schauspiel von New York, so sein Ergebnis, »war eine spektakuläre Theateraufführung«. Die Flugzeuge, die Twin-Towers, die Stadt in Angst »waren gigantische Requisiten in einem bombastischen Spektakel, worin die Kollektivfantasie des radikalen Islam anschaulich verkörpert wurde: Nur eine Handvoll Muslime - Männer, deren Wille absolut rein war, wie ihr Märtyrertum bewies - brachten die vom Großen Satan errichteten hochmütigen Türme zu Fall. Konnte es einen besseren Beweis dafür geben, dass Gott auf der Seite des radikalen Islam stand und das Ende der Herrschaft des Großen Satans nahe war?«
Man muss diese Analyse nicht teilen. Dennoch macht sie die Begrenztheit staatlicher Sicherheitsstrategien deutlich. Ein
Gewaltausbruch als Kunstwerk, als reiner Selbstzweck kommt in diesen Strategien nicht vor. Was soll ein Staat auch dagegen tun? Gegengewalt macht die Sache ja nur noch spektakulärer. Also gar nichts? Diese Option steht den Staaten, wie wir sie kennen, nicht zur Verfügung.
Die weltweit sich manifestierende Gewaltdrohung der nicht staatlichen Art schreit nach einer Weltinnenpolitik über die Grenzen aller Staaten hinweg. Weltinnenpolitik - das war immer ein Traum liberaler Politiker und Denker, die sich auf Immanuel Kants Schrift über die Republik Zum ewigen Frieden beriefen. Dahinter steckte 1795 die Idee, dass in einer vereinten Welt niemand gegen niemanden mehr Krieg führen müsse, dass alles per Ordnungsrecht zu klären sei. Zu Zeiten Willy Brandts gehörte »Weltinnenpolitik« zum Stichwortschatz der SPD-Hoffnungsträger. Doch heute lesen die Hoffnungsträger des Kampfes gegen den Terror bei Kant noch mal nach - und stellen fest, dass dies wohl sein schwächstes Werk war. Konkrete Lehren können wir
Weitere Kostenlose Bücher