Der globale Polizeistaat
Begründungen, die nach rechtsstaatlichen Standards Minister,
Staatssekretäre, auch Dorfpolizisten, für ihr Handeln zu geben hatten. Selbst der Krieg, zumindest der im Sinne der Westfälischen Staatenordnung, unterscheidet sich vom Unheil des dreißigjährigen Gemetzels durch seine Berechenbarkeit, der Berechenbarkeit des Duells: Das ist im historischen Modell die Situation zweier Männer, die ihre Hoffnungen und Besorgnisse, ja sogar ihre Beleidigungen und deren Tilgung auf die symmetrische Annahme stützen, sie seien Ehrenmänner, also eingespannt in einen klar begrenzten Bezugsrahmen von Zivilisation.
Doch nun haben sich Politik und Gesellschaft, auch die Abteilungsleiter der inneren Sicherheit, mit der dunklen Bedrohung auseinanderzusetzen, die sich in bekannte Muster der Bedrohungsbewältigung nicht einordnen lässt. Das eben erwähnte Video zum Beispiel: Ist es, was Experten vermuten, eine reine Propagandashow, um Bürohengsten wie Herrn Hanning mal richtig einzuheizen? Wer hat es überhaupt gedreht? Wo ist es entstanden? Wie ist es zu ABC gelangt? Wie alt ist es? Ein vergleichbares Droh-Video, beispielsweise in den Siebzigerjahren aus dem Untergrund der RAF aufgetaucht, wäre in Deutschland von den Experten des Bundeskriminalamtes detailliert analysiert worden. Selbst am Raumklang der Tonaufnahmen lassen sich Hypothesen über die Struktur der Tapeten des Aufnahmeraumes anstellen - Raufaser oder Blümchen?
Raufaser oder Blümchen: Das ist natürlich nur ein Beispiel für die Bedeutung eines Bezugsrahmens, den kriminalistische Analysen ebenso brauchen wie politische Aussagen über die unheimliche Bedrohung. Mit der Erweiterung des Gefahrenraumes sinkt die Möglichkeit, etwas über Gefährdungen zu wissen. Nun reicht, wie der Innenminister feststellt, der Gefahrenraum von Berlin bis an den Hindukusch - die Gefahr ist, ohne dass wir sie konkretisieren können, wahrhaft global. Was hat es zu bedeuten, dass pakistanische Sicherheitskräfte im Juni 2007 auf dem Flughafen von Lahore den 45-jährigen Alim N. festgenommen haben? Die Pakistaner warfen ihm vor, er habe bei der Terrororganisation Al Kaida eine Ausbildung als Sprengstoffexperte
genossen. Die Deutschen sind an diesen Vorwürfen sehr interessiert, weil Alim N. vor der Verhaftung in Germersheim am Rhein wohnte und beim Landeskriminalamt als »Gefährder« geführt wurde. »Gefährder« heißt bei der deutschen Polizei jemand, der als Terrorist in Betracht kommt, ohne dass man ihm etwas nachweisen kann. Was folgt also aus der Festnahme in Pakistan? Ist nun wahrscheinlich, dass Alim N. sich demnächst als Märtyrer im Rheinland betätigt? Oder ist es eher unwahrscheinlich, weil er ja nun sitzt? Und was ist mit Tolga D.? Den haben die Pakistanis ebenfalls festgesetzt, weil er falsche Papire hatte. Er ist deutscher Staatsbürger und stammt aus Neu-Ulm. In der schwäbischen Idylle gibt es eine polizeibekannte Islamistenszene, aus deren Umfeld, so glauben die Sicherheitsbehörden, etwa ein Dutzend Märtyreranwärter in afghanischen oder pakistanischen Terroristencamps ausgebildet werden.
Glauben heißt nichts wissen. Man muss mal hin, nach Neu-Ulm, um zu ahnen, wie sich unter der globalen Bedrohung die kulturellen Bezugsrahmen unserer Befürchtungen und Hoffnungen auflösen. In dem beschaulichen Ort an der Donau konvertieren unerklärlich viele junge Menschen aus schwäbischen Familien zum Islam, gar zum Salafismus, einer besonders strengen, antiwestlichen Glaubensrichtung. Warum machen die das? Allein die Hinwendung zum Islam macht aus keinem Menschen einen Terroristen, der Wandel zum Muslim macht ihn eher frommer, vielleicht sogar zum besseren Menschen, da kann man geteilter Ansicht sein. Wie kommt also die Polizei dazu, die Wohnungen dieser Leute zu durchsuchen und sie als »Gefährder« zu behandeln? Weil es eben merkwürdig ist, wenn mitten im christlichen, kleinbürgerlichen Donautal auf einmal die für ewig gehaltenen Horizonte des Glaubens wegsacken - und man kann es nicht vernünftig erklären.
Bei der schwäbischen Pfarrerstochter Gudrun Ensslin war das anders. Ihr Weg in den Terrorismus der RAF war zwar erstaunlich, aber doch im Rahmen dessen, was sich in einem handwerklich ordentlich gemachten Film wie Der Baader Meinhof Komplex in gut zwei Kinostunden einsichtig machen lässt:
Das Kippen christlicher Überzeugungen in moralische Empörung, die immerhin verständlich erscheint und bis heute ihre heimlichen Sympathisanten hat - dies alles spielt
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