Der globale Polizeistaat
US-Regierung gegründet, das Maß der Gefährdung durch den Terrorismus von der Ebene der Möglichkeit in die Sphäre der Wahrscheinlichkeit zu transportieren: Das National Counterterrorism Center (NCTC), das Memorial Institute for the Prevention of Terrorism (MIPT) und das National Consortium for the Study of Terrorism and Responses of Terrorism (Start). Was diese Anstalten an Warnungen in der Welt verbreiten, wird auch in Deutschland von Sicherheitsexperten und den Medien gierig rezipiert: Neues von der Kriegsfront gegen den Terrorismus.
Alle drei Institute berichten regelmäßig davon, dass die Bedrohung durch den Terrorismus wächst. Diese Behauptung stützen sie im Wesentlichen durch statistische Angaben: In den letzten Jahren habe die Zahl der Menschen, die durch Terrorakte getötet wurden, ständig, oft sprunghaft, zugenommen. Allein in den Jahren 2005 und 2006, berichtet NCTC, sei die Zahl der Opfer um 41 Prozent gestiegen, von 14 618 auf 20 573. »Zahl der Terroranschläge und der Todesopfer 2006 deutlich gestiegen«, berichtet denn auch im Mai 2007 die Frankfurter Allgemeine Zeitung gewissenhaft: 20 500 Menschen seien nach einem Bericht des »amerikanischen Außenministeriums« getötet worden, zugleich wurden Quellen zitiert, die darin Zeichen eines »weltweiten Aufstandes« der Al Kaida-Verschwörer sahen. Nicht weniger alarmierend die Zahlen des MIPT: Von 1998 bis 2006 sei die Zahl der Terrortoten von 2172 auf 12 070 gestiegen, ein Anstieg von 450 Prozent. Start errechnete allein für 2004 einen Zuwachs gegenüber dem Vorjahr von 75 Prozent.
Es waren Wissenschaftler der Simon-Fraser-University in Kanada, denen diese Zahlen merkwürdig vorkamen. Sie legten nun eine Studie vor 10 , die, unterstützt von mehreren Regierungen in Europa, der Sache auf den Grund ging: Wie gefährlich ist der Terrorismus wirklich? Die Experten kamen schnell hinter den Trick, dessen sich alle drei US-Institute bedienten: In die Zahl der jährlichen Terroropfer bezogen sie die toten Zivilisten des Irakkrieges mit ein. Beispiel 2006: Von den 16 657 Todesopfern des Irakkrieges zählte das NCTC 13 343 als Terroropfer. So war es kein Wunder, dass vom Zeitpunkt der amerikanischen Invasion 2003 an die Zahlen nach oben schossen. Die Statistikmethode aus den USA nennen die kanadischen Kollegen höflich »ungewöhnlich« und »umstritten«. Um ihr Urteil zu unterstreichen, vergleichen die Kanadier die Zahlen mit alten US-Terrorstatistiken über die Opfer der Bürgerkriege in Afrika. 1999 melden US-Terrorismusforscher, 0,06 Prozent der Hunderttausenden, die südlich der Sahara in Massakern umgebracht wurden, seien als Opfer des Terrorismus anzusehen. Die anderen sind, na ja, wie
soll man sie nennen, Bürgerkriegsopfer. Die neue Terrorrechnung, die seit 2001 in den USA gilt, ist nach Ansicht der Kritiker aus Kanada »beeinflusst durch das US-Außenministerium«, das fortan dem Terrorismus nur die Gewalttaten zuschreibt, von denen »die Sicherheit amerikanischer Staatsbürger oder die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten bedroht« wird.
Die großzügige Einbeziehung der traurigen Bilanz des Irakkrieges in die Statistik des Terrors gegen die USA ist eine zynische Unverfrorenheit: Es handelt sich im Grunde um die Opfer des Überfalls der USA auf den Irak Saddam Husseins - eines Angriffskrieges, den als völkerrechtswidrig zu bezeichnen es gute Argumente gibt. Das Amerika der Angreifer stilisiert sich zum Opfer. Die Idee der Vermischung von Terror und Krieg zeigt ihre menschenverachtende Seite.
Rechne man die Todesopfer des Irakkrieges aus der Terrorstatistik heraus, so das Ergebnis der kanadischen Studie, »gibt es keinen signifikanten Anstieg der Zahlen seit 2001«, insgesamt sogar »eine Abnahme des Terrorismus«. Von den 658 Selbstmordanschlägen, die in den US-Statistiken für das Jahr 2007 auftauchen, wurden 542, also der Löwenanteil, in den Kriegsländern Irak und Afghanistan verübt. Die restlichen gut hundert verteilen sich über den gesamten Erdball. Ähnlich wie die kanadische Studie kommt eine Berechnung der SPIEGEL-Dokumentation ohne den Irak auf rund 6000 Todesopfer des weltweiten Islamistenterrors von 2001 bis 2008. Der weitaus größte Anteil davon entfällt - natürlich - auf die 3038 Toten des Anschlags vom 11. September in New York. Sieht man von dieser Jahrhundertkatastrophe als schrecklichem »Ausreißer« der Statistik ab, ist die Welt eher ruhiger geworden: In den dreißig Jahren zuvor kostete nach Angaben
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